Vor Kurzem hatte ich einen Streit mit einem Freund. Eigentlich ging es um eine Kleinigkeit, doch ich bemerkte, wie er immer wütender zu werden schien. Seine Reaktion erschien mir etwas übertrieben, aber es war mir nicht wirklich neu: Häufig fühlen sich Menschen von mir angegriffen, obwohl ich das gar nicht beabsichtige.
Es ist mir inzwischen zum vertrauten Gefühl geworden, Menschen zu verärgern oder zu nerven. Das tut mir leid, aber ganz ehrlich: Ich kann es nicht ändern. Ich war schon immer so und mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, ja, manchmal bin ich sogar ein bisschen stolz darauf, „zu allem eine Meinung“ zu haben und es „nicht mal locker sehen“ zu können.
Große Klappe since ever
Die Diskutiererei begann bei mir schon in der Grundschule und liegt meiner Ansicht nach in einem unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn begründet. Meine Eltern haben mich zudem immer darin bestärkt, für das einzustehen, was mir wichtig ist und nicht die Klappe zu halten, wenn ich Zeugin von Ungerechtigkeiten werde.
Anfangs wurde ich dafür von meinen Mitschüler*innen bewundert. Ich war die Starke, die sich für die Schwächeren eingesetzt hat und die, die sich auch mit den Lehrer*innen angelegt hat oder dem Bauern, der uns von seinem Grund und Boden vertreiben wollte. Ich hatte vor niemandem Angst, denn ich hatte die Gerechtigkeit auf meiner Seite.
In der Pubertät kippte die Sache allmählich. Mein fester moralischer Kompass war nicht mehr gefragt, im Gegenteil. Meine Freund*innen, bzw. die, die ich dafür hielt, hatten keine Lust, immer „politisch korrekt“ zu sein. Genauso wie sie saufen und rauchen wollten, wollten sie ab und zu andere hänseln, die in ihren Augen uncool waren oder arm oder schwul oder fett. Sie wollten „Böhse Onkelz“ hören oder mit den Älteren rumhängen, auch wenn die irgendwas Nazimäßiges gemacht hatten. Ich wollte das nie. Und ich schreibe das hier nicht, um mir heute die verspätete Anerkennung dafür abzuholen. Ich will auf etwas anderes hinaus.
Gemocht werden ist super
Ich hatte nie die Wahl zwischen „cool sein“ und das (aus meiner Sicht) Richtige tun. Der erwähnte moralische Kompass galt ja in erster Linie für mich selbst. Das soll nicht heißen, dass ich immer das Richtige getan hätte oder niemals gemein zu jemand anderem gewesen wäre. Das war ich bestimmt, aber ich habe es nicht gewollt und mich sofern möglich dafür entschuldigt oder zumindest sehr sehr geschämt.
Nachdem mein „Anderssein“ dafür gesorgt hatte, dass ich irgendwann bei der Mehrheit der Schüler*innenschaft unten durch war, wechselte ich vorzeitig aufs Gymnasium. Ich ertrug die Beleidigungen nicht mehr, das Mobbing und die verbale Gewalt. Auf der neuen Schule sollte es unbedingt anders werden. Ich wollte um jeden Preis gemocht werden. Und es gelang mir auch. Ich fing am ersten Schultag das Rauchen an, aber das war es nicht allein. Es lag sicher auch daran, dass ich endlich Mitschüler*innen hatte, die ebenfalls links waren und ich mit meiner politischen Meinung keine absolute Außenseiterin mehr war. Vor allem lag es aber daran, dass ich alles dafür tat, den Anderen zu gefallen. Ich war umgänglich, zu allem bereit, ich war endlich cool, ich nahm es locker (vor allem im Hinblick auf die Schule, ich schwänzte und kiffte, was einem Teenager damals maximale Anerkennung brachte). Ich war im Himmel!
Misogynie ist ein hoher Preis für Kumpels
Zu dieser Zeit ging ich niemandem auf die Nerven, außer vielleicht meinen Eltern und ganz sicher den Lehrer*innen. Es war ein gutes Gefühl, Teil der Gruppe zu sein, auch wenn es oft bedeutete, die Klappe zu halten. Ich wurde zu einem dieser Mädchen, mit denen die Jungs gern abhängen. Eine, die sagt, sie können mit anderen Frauen nichts anfangen, die seien so kompliziert. Die Anerkennung der Jungs war die einzig gültige Währung und ich wusste, wie man reich wird. Der Markt erschien hart umkämpft und andere Girls bedeuteten Konkurrenz. Über sexistische „Witze“ habe ich mitgelacht, denn ich war damit nicht gemeint. Frauen waren selbst schuld, wenn sie „Schlampen“ genannt wurden, was führten sie sich auch so billig auf?
Es war furchtbar und es hat über zehn Jahre gedauert, das alles zu durchschauen. Heute erkenne ich das misogyne System, das dem zugrunde liegt. Ich bin unendlich dankbar, endlich zu wissen, wie empowernd Frauenfreundschaften sind und wie scheißegal es ist, was „Jungs“ angeblich mögen und was nicht. Ich habe wieder angefangen, meine Meinung zu sagen, auch wenn das bedeutet, nicht mehr so umgänglich zu sein. Ich sehe Sexismus nicht mehr locker, ungeachtet der Tatsache, dass ich damit anderen den Spaß verderbe.
Irgendjemand ist wahrscheinlich immer genervt
Ich möchte immer noch von allen gemocht werden, aber nicht mehr um jeden Preis. Wenn sich andere von dem angegriffen fühlen, was ich sage, fühle ich mich nur noch manchmal deshalb schuldig. Ich bin wieder ich und das bedeutet nun mal, dass ich jedes Mal den Mund aufmache, wenn jemand was rassistisches, homophobes, frauenfeindliches sagt.
Ja, ich verderbe anderen den Spaß. Ja, ich mache die Stimmung kaputt und störe die Harmonie, wenn ich „zu allem meine Meinung“ sage. Ich verstehe es sogar ein Stück weit, dass Menschen von mir genervt sind. Aber was ist mit meiner Genervtheit von dummen Sprüchen und diskriminierenden Witzen? Es kann sein, dass sich jemand unwohl fühlt, weil ich sein Verhalten kritisiere. Aber mein Gegenüber vergisst, dass ich nicht deshalb meine Meinung sage, damit die andere Person sich unwohl fühlt, sondern damit ich es nicht tue. Indem ich mich einmische, entscheide ich mich dafür, mich nicht scheiße zu fühlen.
Politisch korrekt sein ist kein Hobby
Warum scheint es akzeptierter zu sein, sich sexistisch oder rassistisch zu äußern, als sich dagegen zu wehren? Warum störe ich die Harmonie, wenn ich mich einmische und nicht der oder die Sprücheklopfer*in?
Ich kenne das Gefühl, andere mit meiner Meinung zu stören, schon so lange. Ich habe mich daran gewöhnt, die Spaßbremse zu sein und trotzdem tut es manchmal noch weh, so gelabelt zu werden. Nur weil ich eine starke Meinung habe, heißt das ja nicht, dass ich nicht trotzdem gerne Harmonie hätte und gemocht werden will. Für mich ist „politisch korrekt“ sein aber eben nichts, was ich nach Feierabend auch mal ablegen kann. Ich drücke da kein Auge zu, niemals. Wer mich kennt weiß das auch oder lernt es schnell. Ich lasse jedem die Freiheit, sein schlechtes Benehmen als Spaß abzutun und seine Vorurteile als „schwarzen Humor“, aber ich fordere dann auch meine Freiheit ein, das entsprechend zu kommentieren.
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