Der Wahlkampf ist am Ende, Migration hat keinen Einfluss auf Kriminalität, die Gewobag bricht ihr Wort und Deutschland sollte sich schämen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW8
Es ist die letzte Woche vor der Wahl und so langsam hat auch der letzte genug vom Wahlkampf. Es reicht. Spätestens als die Grünen ein Video in den Sozialen Netzwerken veröffentlichen, in dem sie explizit davor warnen die Linken zu wählen, war für mich der Tiefpunkt erreicht. „Eine Partei zu wählen, die von vornherein ausschließt zu regieren, drückt sich vor der Verantwortung, in schwierigen Situationen das Richtige zu tun“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock in einem am Dienstag (18. Februar) veröffentlichten Video auf Die Linke bezogen und verdreht ganz bewusst die Tatsachen. Denn Die Linke schließt überhaupt nicht aus, zu regieren, sondern lediglich, Friedrich Merz zum Bundeskanzler zu wählen. Die Grünen hingegen streben die Koalition mit der Union nach wie vor an, auch auf Kosten der eigenen Glaubwürdigkeit und vor allem auf dem Rücken Geflüchteter und rassifizierter Menschen in Deutschland.
Junge Menschen durchschauen diese „Hauptsache Macht“-Haltung der Grünen offenbar ganz gut. Am Montag (17. Februar) veröffentlichte der Bundesjugendring die Ergebnisse der U18-Wahl und da kommen die Grünen nur noch auf 12,4 %. Wahlsiegerin ist Die Linke mit 20,84 % der Stimmen. 166.443 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben sich an der Wahl beteiligt, die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, aber setzen dennoch ein deutliches Zeichen. Den Nazis gefällt das natürlich gar nicht und in gewohnter Manier wurde mit Hetze und Fake News reagiert. Auf Ex-Twitter ging ein Post viral, in dem behauptet wird, in Wahrheit hätten deutsche Jugendliche mit großer Mehrheit die AfD gewählt. Elon Musk teilte den Beitrag, auf dem offenbar das Ergebnis der „Junior-Wahl“ an einer Oberschule im sächsischen Pirna zu sehen ist. Die AfD liegt hier mit 63,49 % vorne, 80 von 126 Schüler*innen haben sie gewählt. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie schlimm es für nicht-rechte Kids sein muss, jeden Tag in diese Schule gehen zu müssen. In Sachsen ist die AfD Siegerin der U18-Wahl, 31,6 % haben hier rechtsextrem gewählt. Auch in Brandenburg (35,59 %), Mecklenburg-Vorpommern (34,98 %), Sachsen-Anhalt (30,1 %) und Thüringen (35,17 %) gewinnt die AfD bei den Jugendlichen. Interessant ist auch das Ergebnis in Bayern: Hier haben die minderjährigen Wähler*innen die AfD mit 17,61 % auf Platz 2 hinter die CSU mit 21,19 % gewählt, das höchste Ergebnis der Nazis in den alten Bundesländern.
Schon öfter habe ich im Wochenrückblick über das Problem mit der „Polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS) geschrieben, die jedes Jahr neuen Zündstoff für rassistische Law-and-Order-Forderungen liefert. Seit Dienstag hat meine PKS-Kritik offizielle Rückendeckung vom ifo-Institut, das auf Basis einer aktuellen datenbasierten Analyse zu dem Ergebnis kommt: Steigende Kriminalität hat nichts mit Migration zu tun. „Wir finden keinen Zusammenhang zwischen einem steigenden Ausländeranteil in einem Kreis und der lokalen Kriminalitätsrate. Gleiches gilt im Speziellen für Schutzsuchende“, sagt ifo-Forscher Jean-Victor Alipour. „Die Ergebnisse decken sich mit Befunden der internationalen Forschung, wonach Migration und Flucht keinen systematischen Einfluss auf die Kriminalität im Aufnahmeland haben.“
Am rassistischen Stimmungshoch in Deutschland kann die Wissenschaft jedoch leider auch nichts ändern. Am Mittwoch (19. Februar) war es genau fünf Jahre her, dass ein Rechtsextremist in Hanau neun Menschen erschossen hat, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Bis heute fordern die Angehörigen der Ermordeten Aufklärung und Gerechtigkeit. Bis heute wird ihnen beides verwehrt. Der Schmerz der Hinterbliebenen ist grenzenlos. Deutschland sollte sich in Grund und Boden schämen dafür, wie die Opfer des rassistischen Massenmords alleingelassen wurden. Dafür, dass direkt nach dem Attentat Karneval gefeiert wurde, statt mit den Opfern zu trauern. Dafür, dass die Aufklärung des Behördenversagens in der Tatnacht verschleppt, vermieden und sabotiert wurde und wird. Dafür, dass der Vater des Täters als „tickende Zeitbombe“ die Hinterbliebenen bedrohen und belästigen kann. Am meisten sollten wir uns dafür schämen, dass die Opfer bis heute nicht trauern können, weil sie kämpfen müssen. Niculescu Păun, Vater des ermordeten Vili Viorel Păun, kämpft gegen die hessische Polizei, weil der Notruf in der Tatnacht nicht funktionierte. Vili Viorel hatte mehrfach versucht, die Polizei zu alarmieren, kurz bevor er in seinem Auto erschossen wurde. Die Angehörigen von Hamza Kurtović erstatteten ebenfalls Anzeige, weil der Notausgang der „Arena Bar“ verschlossen war, in der Hamza und Said Nesar Hashemi ermordet wurden. Bis heute gibt es kein einziges Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem rassistischen Massenmord. Keine Konsequenzen, keine Gerechtigkeit. Stattdessen: Hass und Hetze gegen nicht-weiße Menschen, eine „Migrationsdebatte“, bei der sich Politik und Medien mit Rassismus überbieten. Entsprechend wütend, traurig und verzweifelt sind die Familien der Opfer. Said Etris Hashemi, Überlebender und Bruder des Getöteten Said Nesar Hashemi, fasste das in Worte: „Und genau jetzt mitten in einem Wahlkampf, in dem Migration täglich diskutiert wird; aber nicht als Frage der Menschlichkeit, oder als Frage der Integration, sondern als eine Art Wettbewerb, wer am schnellsten und am meisten abschieben kann; genau jetzt fühlen sich viele Menschen in diesem Land fremd und haben ein Gefühl von Angst. Angst, weil sie wissen die Sprache, die heute gewählt wird, kann morgen zur Tat werden.“ Emis Gürbüz, die sich das Foto ihres ermordeten Sohns Sedat Gürbüz an den Pullover geheftet hatte, sagte bei der offiziellen Gedenkzeremonie vor den anwesenden Vertreter*innen von Stadt, Land und Bund, die Tat, aber auch der Umgang mit ihr, sei „ein Schandfleck in der Geschichte der Stadt Hanau und Deutschlands“. Sie gibt den Behörden die Hauptverantwortung für die Morde und erklärte, keine Entschuldigung von Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) zu akzeptieren. Dafür wird sie nun von CDU und FDP heftig angegriffen. Die Männer, die nichts unternehmen, um ein Attentat wie das vom 19. Februar 2020 zu verhindern, verurteilen eine Mutter, deren Sohn ermordet wurde, für ihren Ton. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Stadtrat, Pascal Reddig, wirft Emis Gürbüz vor, „die Gedenkveranstaltung missbraucht“, zu haben „um rückwärtsgewandt zu spalten und die schreckliche Tat zu instrumentalisieren“. Die Koalition aus SPD, CDU und FDP kündigte an, dass es „derlei Gedenkveranstaltung in Hanau nicht mehr geben“ werde. Es ist bodenlos.
In Berlin fand am Donnerstag (20. Februar) eine Kundgebung vor dem Quartierbüro der Gewobag in Schöneberg statt, um gegen den Wortbruch des Unternehmens zu protestieren. Die Gewobag ist Vermieterin einet Gewerbefläche im Bülowkiez, in die eigentlich ein Nachtcafé und Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen und obdachlose Menschen einziehen sollte. Es war alles geklärt, sogar die Finanzierung wurde durch Bezirk und Land zugesagt. Doch die Gewobag machte überraschend und zunächst ohne Begründung einen Rückzieher. Die Räume in der Frobenstraße 22 werden nun an ein Zahnlabor vermietet, statt wie vereinbart an das geplante Projekt. Das „Café Julia“ ist eine Initiative von Trans*Sexworks, ein Peer-Projekt für (trans) Sexarbeiter*innen, das seit Jahren am Straßenstrich in Schöneberg praktische Unterstützung leistet. Im Café sollten sich Sexarbeitende zwischen 22 und 4 Uhr aufwärmen können, Beratung und Schutz finden, sich selbst und ihre Wäsche waschen können. Am Tag wollte die Berliner Stadtmission hier eine Wohnraumberatung für obdachlose Menschen anbieten. Wichtige soziale Infrastruktur in einem Kiez, in dem die ärmsten Bewohner*innen seit Jahren zunehmend diskriminiert, bedroht und verdrängt werden. Als Landeseigenes Unternehmen ist die Gewobag eigentlich verpflichtet, Flächen für soziale Einrichtungen zu bezahlbaren Mieten bereitzustellen. Der Rückzug der Gewobag aus der Vereinbarung ist auch eine Absage an die Kooperationsvereinbarung die 2024 mit dem Berliner Senat getroffen wurde. Der Slogan der Gewobag, „Die ganze Vielfalt Berlins“, liest sich wie eine Verhöhnung der Sexarbeiter*innen, drogengebrauchenden und obdachlosen Menschen im Kiez, die durch die Absage der Gewobag weitere Ausgrenzung erfahren.
In Budapest begann heute (Freitag, 21. Januar) der Prozess gegen die antifaschistische Person Maja T., der vorgeworfen wird, an vier Angriffen auf Nazis beteiligt gewesen zu sein. Maja wurde von deutschen Behörden rechtswidrig nach Ungarn ausgeliefert und ist nun mit bis zu 24 Jahren Haft bedroht. Maja lehnte einen Deal von 14 Jahren Haft bei gleichzeitigem Schuldeingeständnis ab. Stattdessen verlas Maja eine Erklärung. Darin heißt es, Ungarn sei „ein Staat, der ganz offen Menschen wegen ihrer Sexualität oder ihrem Geschlecht ausgrenzt und separiert, ich bin angeklagt von einem europäischen Staat, weil ich Antifaschist*in bin“. Maja berichtet von den Haftbedingungen denen Maja seit acht Monaten ausgesetzt ist: Langzeiteinzelhaft, mit „weniger als 30 Minuten menschlichem Kontakt am Tag“, Maja darf nicht studieren, nicht arbeiten, es würden „weder ausreichend Bücher noch benötigte Vitaminpräparate oder rechtzeitige Arztbesuche gewährt“. Es fehle an „genügend Tageslicht und gesundem Essen“. Zudem sei Maja „erniedrigende und entwürdigende Sicherungsmaßnahmen“ ausgesetzt, „von mehreren dutzend Menschen gezwungen“ worden, sich „vor ihnen nackt zu entkleiden“ und sei drei Monate lang in einer Zelle eingesperrt gewesen, in der „illegal eine Kamera hing“. Maja spricht von Bettwanzen und Kakerlaken sowie stündlichen Kontrollen mit Licht „das mir nachts den Schlaf raubt“. Maja sagt: „Es geht einzig und allein darum mich zu bestrafen und zu brechen in meinem Lebendigsein.“ Die deutsche Bundesregierung hat bis heute nichts unternommen, um Maja, 24 Jahre alt, nach Deutschland zurückzuholen.
Weitere Meldungen diese Woche
- Von wegen „Die Jungen wollen einfach nicht mehr arbeiten“: Junge Menschen arbeiten so viel wie lange nicht. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) räumt mit dem Vorurteil, die Gen-Z würde nicht arbeiten, auf.
- Mutmaßlicher Femizid in Hamburg: Ein 25-Jähriger tötete mutmaßlich seine Mutter und verletzte anschließend eine weitere Frau sowie deren Mitbewohner mit einem Messer.
- In Berlin hat eine Frau ein 12-jähriges Mädchen von einem E-Roller geschubst und dabei verletzt haben. Ihr Begleiter beschimpfte einen herbeieilenden Passanten rassistisch.
- Bei Polizeieinsätzen in der Türkei wurden auf Anordnung der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft zahlreiche Menschen unter Terrorvorwürfen festgenommen, darunter Mitglieder verschiedener Parteien, Medienschaffende und Künstler*innen. Nach der Zwangsabsetzung des kurdischen Bürgermeisters der Stadt Wan kam es zudem bei Protesten zu 400 gewaltsamen Festnahmen. „Mindestens 106 der Verletzten, darunter 16 Minderjährige, sind das Ziel von gezielter, exzessiver Gewalt geworden. Nahezu alle Betroffenen weisen Knochenbrüche oder schwere Quetschwunden auf, für zwei Menschen besteht das Risiko des Verlusts des Augenlichts“, zitiert die Nachrichtenagentur ANF den Krisenstab, der vom Verein freiheitlicher Juristen (ÖHD), der Rechtsanwaltskammer Wan und der örtlichen Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD gebildet wurde.
- Berlin hat einen Kahlschlag bei der Bildungs- und sozialen Projektarbeit angekündigt. Rund 100 Projekte und Initiativen in der Hauptstadt betroffen, darunter zahlreiche queere Projekte, wie der Queer History Month, die trans und inter Beratung der Schwulenberatung und die Fachstelle Queere Bildung.
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