Frauen können werden, was sie wollen, auch marktradikale Unternehmerinnen, die sich selbst als „Girlboss“ verniedlichen. Bianca Jankovska hat ein Buch über sie geschrieben und über die Frage, wie kapitalistisch Feministinnen sein können und umgekehrt.
Ich habe mich lange nicht mehr so auf ein Buch gefreut, wie auf „Dear Girlboss, we are done“ von Bianca Jankovska (Text) und Julia Feller (Illustration und Gestaltung). Das lag zum einen daran, dass ich eine ganze Weile in den Buchläden meines Vertrauens danach Ausschau hielt und die fehlende Verfügbarkeit mein Verlangen stetig steigerte. Als ich dann irgendwann gecheckt habe, dass es das Buch nur „on demand“ gibt, habe ich es sogleich online bestellt und musste weitere sechs Tage warten, bis es endlich im Briefkasten war. Zum anderen lag es aber – und das vor allem – am Thema. Die „radikale Dekonstruktion“ des Girlboss-Phänomens wird auf dem Klappentext versprochen. Das will ich lesen!
Es ist eine Falle
Mir gehen die selbsternannten „Shepreneurs“ schon seit geraumer Zeit auf die Nerven, die ihr Geld mit dem falschen Versprechen vom Erfolg verdienen, der sich angeblich ganz automatisch einstellt, wenn man nur fest genug an sich glaubt und hart genug dafür arbeitet (und natürlich den angebotenen Onlinekurs kauft, um seine Finanzen zu regeln, selbstbewusster zu werden, Reichweite aufzubauen oder Gehaltsverhandlungen zu „rocken“).
Der Trend zur Kapitalisierung von Selbstverwirklichungsträumen scheint ständig neue Höhepunkte zu erreichen. Jede Frau kann erfolgreich sein, sie braucht dafür nur einen USP und einen Funnel. Dass das eine Falle ist, ist rational leicht zu durchschauen, emotional gelingt es aber leider nicht automatisch. Zu groß ist die Verlockung, mit dem reich zu werden, das man liebt. Andere haben es ja auch geschafft und wir folgen ihnen auf Instagram und hören ihre Podcasts in der Hoffnung, das Erfolgsrezept zu durchschauen und zu adaptieren. Bianca Jankovska schreibt: „Es gilt nach wie vor: Wenig Geld für viele, und viel Geld für wenige – daran hat sich auch im digitalen Business nichts verändert. Der Unterschied: Die Nachahmbarkeit scheint größer.“
Kann man als Feministin Millionärin werden?
Was Jankovska (und mich!) dabei wütend* macht, sind aber gar nicht so sehr die profitorientierten Unternehmerinnen (auch wenn es total nervt, dass sie sich als „Girlboss“ und „Shepreneur“ verniedlichen), sondern vielmehr, dass sie uns das Kohlescheffeln als feministischen Akt verkaufen wollen. Natürlich ist der Wunsch nach (finanzieller) Unabhängigkeit ein emanzipatorischer. Eine Frau, die für sich selbst sorgt, die auf die besorgten Blicke ihrer Mutter und die neidischen ihrer Freund*innen scheißt, die selbstbewusst ihr Business aufbaut und sich nicht von der (männlichen) Konkurrenz einschüchtern lässt, mag als Vorbild weiblicher Selbstbestimmung in der Brigitte taugen. Doch für mein Verständnis von Feminismus reicht das nicht.
Jankovska fragt: „Kann man Feministin und neureiche Unternehmerin sein? Kann man ernsthaft daran glauben, dass jede Person, die talentiert ist und sich anstrengt, Millionär*in werden kann?“ Alles sei eine Frage von „Glaubenssätzen“, wollen uns die Girlbosse weiß machen. Sie arbeiten hart an ihren Mindsets, verschwenden aber keinen Gedanken an die eigenen Privilegien oder das System, in dem wir leben und das eben nicht gleiche Chancen für alle bereithält. Dass der eigene Profit oft auf der Ausbeutung anderer (Frauen) basiert, wird ebenso wenig reflektiert.
Pop-feministische Ästhetik
Stattdessen wird eine mittlerweile erschreckend einheitliche Instagram-Ästhetik präsentiert, die sich einen pop-feministischen Anstrich gibt. Es werden vermeintliche Tabus offen angesprochen, wie Regelschmerzen oder Körperbehaarung, Frauen mit Kleidergröße 40 bekennen sich zur „Body Positivity“ und wenn es gerade angesagt ist, werden schwarze Kacheln „gegen Rassismus“ geteilt. Es scheint fast so, als hätte jeder Girlboss irgendwo ein T-Shirt mit aufgemalten Brüsten und eine „The Future is Female“-Tasse rumzuliegen. Fragen, die die tatsächliche politische Haltung einer Protagonistin challengen, werden ausgeblendet“, schreibt Jankovska: „Genauso wie Kommentator*innen, die von einer offensichtlich ‚Ich, Ich, Ich‘-schreienden Frau mehr erwarten als die mediengerechte Selbstpräsentation in Form von weinenden Selfies und traurigen Captions, de facto nicht existenten Fettröllchen auf Polaroids und BFF-Fotos mit anderen Normschönheiten. Wenn laute Frauen konventionell-attraktiv sein müssen, damit ihnen zugehört wird: was ist das dann für eine Welt, in der wir für mehr Gerechtigkeit posten?“
Jankovska trifft uns im Kern
Jankovska stellt viele wichtige Fragen und macht es ihren Leserinnen (nicht gegendert) dabei nicht gerade leicht, sie zu mögen. Zu sehr trifft sie in den Kern dessen, was wir uns so gerne selbst vormachen.
„Empowern wir uns durch kollektiven White-Girl-Schmerz? Grenzen wir uns ab, entwickeln wir uns weiter – oder reproduzieren wir in bekannter Like-Manier einfach immer und immer und immer wieder dasselbe weiße, reaktionäre, überholte und inzwischen gesellschaftsübergreifend akzeptierte Bild der artsy Künstlerin, die um sich selbst kreist, statt Platz für andere zu machen? Erschaffen wir neue Ungleichheiten?“
Bianca Jankovska in „Dear Girlboss, we are done“
Ein bisschen fühle ich mich ratlos, nachdem ich die rund 100 Seiten von „Dear Girlboss, we are done“ in einem Rutsch gelesen habe. Ich komme zu dem Schluss, dass es genau das ist, was das Buch so besonders, so unbedingt lesenswert macht. Es bildet ein wertvolles Bollwerk zur aktuellen Flut der weiblichen Ratgeber-Literatur, die uns einfache Antworten und ein besseres Leben verspricht. Jankovska hält sich mit Antworten zurück, Ratschläge gibt es genau null. Stattdessen macht sie unsere Widersprüche sichtbar, fordert uns heraus, eigene Antworten zu finden. Dass die gleichermaßen kunstvollen wie geistreichen Illustrationen von Julia Feller dabei die perfekten Instagram-Sharepics abgeben, ist ironisch und genial und unterstreicht die Ambivalenz des Themas formvollendet.
„Dear Girlboss, we are done“ von Bianca Jankovska und Julia Feller, 2020, 104 Seiten, 12,99 €, Books on Demand, Norderstedt. ISBN: 978-3-7519-2156-5
*Ja, Bianca Jankovska klingt stellenweise wütend. Ich finde das durchaus dem Thema angemessen. Sie darauf zu reduzieren, wie in einer Rezension der taz geschehen, finde ich ganz schön frech.