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Clown-Move und Ränkespiele

Deutschland sieht mal wieder keinen Rassismus, ein Heidelberger Jurist schmiedet Intrigen via Wikipedia und erneut werden Menschen nach Afghanistan deportiert. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW29

Aus terminlichen Gründen fällt der Wochenrückblick heute kürzer aus als gewohnt, I’m sorry!

Am Montag (14. Juli) beendete Maja nach 40 Tagen den Hungerstreik, verbleibt aber weiter in Ungarn in Isolationshaft, weil die Bundesregierung sich nicht kümmert. Wolfram Jarosch, Majas Vater, hat Angst um sein Kind, das in schlechtem gesundheitlichem Zustand ist. Er begann am Montag einen Protestmarsch von der JVA Dresden, wo bis zur Auslieferung nach Ungarn vor über einem Jahr inhaftiert war. Sein Ziel ist das Stadtgefängnis von Budapest. „Ich fordere den deutschen Außenminister Herrn Wadephuhl und Ungarns Präsidenten Sulyok Tamás auf, Majas Isolationshaft zu beenden und eine sofortige Rücküberstellung nach Deutschland zu ermöglichen“, erklärte Jarosch.

Im Fall der am 4. Juli in Arnum bei Hannover erstochenen 26-Jährigen Rahma aus Algerien kursieren derzeit unterschiedliche Meldungen zum möglichen Motiv des mutmaßlichen Täters, dem 31 Jahre alten Nachbarn der Getöteten. Während die Staatsanwaltschaft Hannover ein rassistisches Motiv „aktuell als unwahrscheinlich einstuft, berichten Angehörige der Getöteten davon, dass der Nachbar die junge Muslimin immer wieder belästigt und bereits zuvor versucht habe, in ihre Wohnung einzudringen. Rahmas Mutter sagte zum Fernsehsender Al-Araby, ihre Tochter habe ihr davon erzählt, dass der Nachbar sie „wegen ihres Hijabs und ihrer arabischen Herkunft“ wiederholt beleidigt habe. Für die Staatsanwaltschaft offenbar unerheblich. Am Dienstag (15. Juli) teilte sie mit, es handle sich um Gerüchte im Internet. „Bekannte und Nachbarn bezeichnen den 31-Jährigen jedoch als politisch eher linksgerichtet“, ergänzt die Süddeutsche Zeitung. Es ist das altbekannte Muster: Rassismus? Nein, das kann nicht sein. Währenddessen zeichnen die Zahlen ein deutliches Bild. Mehr als acht antimus­li­mi­sche Übergriffe und Diskri­mi­nie­rungen pro Tag, über 3.000 Fälle insgesamt, zählte die CLAIM-Allianz im vergangenen Jahr und spricht von einer „alarmie­renden Jahres­bilanz“. Rahma war vor zwei Jahren als Au-pair nach Deutschland gekommen, machte gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr im Krankenhaus und wollte anschließend eine Ausbildung zur Krankenpflegerin machen.

Kurze Zusammenfassung der jüngsten Regierungskrise: Die SPD wollte Frauke Brosius-Gersdorf ins Bundesverfassungsgericht wählen lassen, stieß aber auf Widerstand von CDU/CSU wegen angeblich zu linker Positionen der Juristin und später auch abstrusen Plagiatsvorwürfen von einem dubiosen Onlinetroll. Die Wahl wurde kurzfristig abgesagt – ein politisches Beben folgte, die vielleicht größte Überraschung war, dass Jens Spahn Fehler einräumte. Am Ende (und nein: leider ist diese Farce noch nicht vorbei) muss sich die diffamierte Kandidatin öffentlich erklären (sie als „ultralinks“ zu bezeichnen sei „realitätsfern“), während sich die rechtsextremen Initiator*innen der Kampagne erneut über eine gelungene Beschädigung der Demokratie freuen können. Ein spannendes Detail berichtete t-online am Donnerstag (17. Juli): Es scheint, als habe ein Fachkollege von Frauke Brosius-Gersdorf den Stein des Anstoßes ins Rollen gebracht, möglicherweise mit dem Ziel die Nominierung der Hochschullehrerin zu skandalisieren oder gar zu verhindern. Ekkehart Reimer von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat fünf Tage vor dem FAZ-Artikel, der die Nominierung Brosius-Gersdorfs öffentlich machte, deren Wikipedia-Eintrag geändert und ihre Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen ergänzt. Einer „der renommiertesten Rechtswissenschaftler Deutschlands“ pfuscht in einer Online-Enzyklopädie herum (zunächst schrieb er, Brosius-Gersdorf wolle Abtreibungen in den ersten 12 „Schwangerschaftsmonaten“ legalisieren und änderte es später erst auf -wochen) und erklärt hinterher, er hätte handeln müssen, da er „sie als Aktivistin wahr[nehme], die über eine Neuinterpretation des Grundgesetzes ein deutsches ‚Roe v. Wade‘ erreichen“ wolle. Nun steht der Verdacht im Raum, dass der Katholik Reimer damit seinem Buddy, dem CDU-Politiker und Wirtschaftslobbyisten Stephan Harbarth, einen Gefallen tun wollte. Zum zweiten Mal, wie es scheint, denn Reimer verhalf Harbarth offenbar vor Jahren bereits zu einer Honorarprofessur an der Heidelberger Juristenfakultät. Zwei Jahre später wurde Harbarth als Richter ans Bundesverfassungsgericht berufen, dessen Präsident er seit 2020 ist. Ja genau, das Bundesverfassungsgericht, für das Frauke Brosius-Gersdorf nominiert wurde. Ich gebe zu, es ist wirr. Aber so sind sie, die Ränkespiele mächtiger Männer.

Einen Clown-Move gab es auch noch diese Woche, sauber exekutiert von der CSU München. Während der Rest der Partei sich für das Verbot von Regenbogenfahnen einsetzt, will sie die Einführung von „christlicher Beflaggung“ im öffentlichen Nahverkehr. Wie queer.de am Mittwoch (16. Juli) berichtete, stellte die CSU zusammen mit den Freien Wählern einen Antrag, Busse und Bahnen „an bedeutenden gesetzlichen Feiertagen christlicher Feste“, wie Ostern, Weihnachten, Pfingsten, Fronleichnam oder Buß- und Bettag, zu beflaggen. „Es wäre schön, den großen christlichen Kirchen aus Anlass dieser Feiertage Respekt zu erweisen.“ Ich versuche mir das Design der Flaggen vorzustellen, aber neben gekreuzigten Jesusfiguren und Kreuzen fällt mir leider nichts ein.

Heute Morgen (Freitag, 18. Juli) startete erneut ein Abschiebeflugzeug von Deutschland nach Afghanistan. 81 Menschen wurden deportiert, in ein Land, das seit der Machtübernahme der Taliban international isoliert ist, in dem Tod und Folter drohen. Offiziell unterhält die Bundesregierung keine Beziehungen mit den islamistischen Herrschern, doch mindestens zur Regelung der Abschiebemodalitäten gibt es durchaus Kooperation. Wenn es nach Alexander Dobrindt geht, wird sich die Zusammenarbeit bald intensivieren. „Mir schwebt vor, dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen“, erklärte der Innenminister Anfang Juli. Für die heutige Deportation habe man mit den Taliban lediglich auf „technischer Ebene über ein Verbindungsbüro in Katar“ Kontakt gehabt, meldet der Tagesspiegel unter Berufung auf den Bundesaußenminister. „Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und Völkerrecht aber unvereinbar“, erklärte Pro Asyl bereits letzten Sommer. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Deportierten angeblich Straftäter sind, wie die Dobrindt betont. Und auch ein vorgebliches „ganz berechtigtes Interesse der Bürgerinnen und Bürger“ steht nicht über Grundgesetz und Völkerrecht. Aber wem erzähle ich das. Grundlegende Menschenrechte scheinen das Papier nicht mehr wert, auf dem sie mal geschrieben wurden. Uns bleibt nur, nicht abzustumpfen gegen dieses Unrecht. Es scheint erst der Anfang zu sein.

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