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Menschen feiern den 80. Jahrestag des Kriegsendes auf dem Berliner Bebelplatz. (Foto von mir)

Wer nicht feiert, hat verloren

Wieder kam es zu Gewalt gegen Bewohner*innen einer Behinderteneinrichtung in Potsdam, der Verfassungsschutz nennt die AfD nun doch nicht „gesichert rechtsextremistisch“ und als die Wehrmacht vor 80 Jahren kapitulierte, endete der Faschismus leider nur vordergründig. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW19

Die Beratungsstelle Maneo hat im vergangenen Jahr 738 Fälle queerfeindlicher Gewalt in Berlin registriert, so ein rbb-Bericht vom Montag (5. Mai). Im Vergleich zu 2023 habe es einen Anstieg um acht Prozent gegeben, teilte die Beratungsstelle mit. Übergriffe auf Szeneeinrichtungen und Gedenkorte hätten um 60 Prozent zugenommen. 62 Fälle wurden 2024 gemeldet. Am vergangenen Samstag wurde auch die queere Kneipe „Tipsy Bear“ im Prenzlauer Berg Ziel von Hassgewalt. Eine Gruppe hatte die Regenbogenfahne am Gebäude heruntergerissen. Die Unbekannten trampelten auf ihr herum und setzten sie schließlich in Brand. „Dies ist nur ein Beispiel für die Hassverbrechen, mit denen Tipsy Bear und andere sichere Räume regelmäßig konfrontiert werden, von faschistischen Graffitis über Bespucken der Fenster bis hin zu Angriffen mit Pfefferspray“, teilten die Betreiber*innen auf Instagram mit und riefen zu einer Solidaritätsaktion am Dienstag (6. Mai) vor der Kneipe auf. Hunderte kamen und die Bilder und Videos spendeten ein wenig Hoffnung in dieser insgesamt eher hoffnungslosen Woche.

Im Oberlinhaus, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Potsdam, wurden erneut Bewohner*innen von einer Mitarbeiterin misshandelt. Das Haus machte vor vier Jahren Schlagzeilen, nachdem eine langjährige Mitarbeiterin vier Bewohner*innen getötet und zwei weitere schwer verletzt hatte. Aktuell ist eine 56-Jährige am Amtsgericht Potsdam angeklagt, weil sie in einer Wohneinrichtung u.a. für taubblinde und geistig behinderte Erwachsene mehrmals gewalttätig geworden sein soll. Acht Fälle werden jetzt vor Gericht verhandelt. U.a. werden ihr Schläge und Kopfüberstrecken vorgeworfen: „Sie soll Menschen aus gefühlloser, fremdes Leid missachtender Gesinnung“ diverse Körperverletzungen zugefügt haben, so die Märkische Allgemeine in einem Bericht vom Montag (5. Mai). Ein Sprecher des Amtsgerichts erklärte, es handle sich nicht um Fälle drastischer Gewalt, vielmehr ginge es um stete Herabwürdigung und Machtausübung. Ein Bewohner mit Autismus soll von der Angeklagten misshandelt worden sein, weil er sich vor einer gemeinsamen Mahlzeit etwas zu essen nehmen wollte. „Sie habe ihn angeschrien und beleidigt, geschubst, mehrmals auf den Arm geschlagen und gegen seinen erkennbaren Willen in sein Zimmer gestoßen“. Später soll sie ihm das Essen weggenommen und mit Nahrungsentzug bestraft haben, so der Zeitungsbericht. „Die Tat im Oberlinhaus vor vier Jahren war nie ein Einzelfall. Und ich und viele andere Menschen wir warnen schon seit Jahren davor, dass die Gewalt in den Strukturen steckt, dass diese Gewalt innerhalb dieser Institutionen passiert wo Fremdbestimmung Alltag ist, wo es Raum gibt für diese Gewalt. Wo Gewaltvorfällen zu Einzelfällen und Überforderung verklärt werden, statt bekämpft werden. Die Gewalt liegt in den Strukturen. Und sie wird ermöglicht durch eine Gesellschaft die behinderte Menschen ausgrenzt und in Sonderwelten abschiebt“, schreibt die Aktivistin Anna Hege auf Instagram.

Die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ letzte Woche hat einige Wellen geschlagen. Bei der AfD in Pirmasens standen die Telefone nicht still: „Wir hatten noch nie so viele Mitgliederanfragen“, sagte der AfD-Kreisvorsitzende Lutz Wendel zur Lokalzeitung „Rheinpfalz“. Auch in anderen Landesverbänden steigen die Mitgliederzahlen, die AfD sieht einen „klaren Solidarisierungseffekt“. Die Kampagne für ein Parteiverbot ist währenddessen auch im Aufwind und kündigte einen bundesweiten Aktionstag für ein AfD-Verbot an. Am Sonntag (11. Mai) wird in über 60 Städten für die Einleitung eines Verbotsverfahren demonstriert. „Deportationspläne, Angriffe auf Selbstbestimmungsrechte, Relativierung des Nationalsozialismus: Die AfD ist eine konkrete Gefahr für alle, die nicht in ihr Weltbild passen. Aber sie kann gestoppt werden. Das Grundgesetz sieht das vor. Aus unserer historischen Erfahrung wissen wir, dass wir nicht zuschauen und warten dürfen, bis die extreme Rechte an die Macht kommt. Wir müssen Demokratie und Grundrechte verteidigen. Die Zeit für ein AfD-Verbot ist jetzt“, erklärte Julia Dück, Pressesprecherin der Kampagne, in einer Stellungnahme am Mittwoch (7. Mai). Nur einen Tag darauf erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), die AfD bis auf weiteres nicht mehr öffentlich als „gesichert rechtsextremistisch“ zu bezeichnen. Die Pressemitteilung, in der die Hochstufung vom Verdachtsfall verkündet wurde, wurde von der Homepage gelöscht. Hintergrund ist offenbar die Klage der AfD am Verwaltungsgericht Köln. Die Behörde rudert zurück, weil die AfD sich beschwert. Bis zur gerichtlichen Klärung könnten nun Monate oder gar Jahre vergehen. So lange will der Verfassungsschutz die Füße stillhalten. Die AfD kann unterdessen weiter an der Bekämpfung der Demokratie arbeiten. Im BfV-Gutachten wird der Partei die „verfassungsfeindliche Ausrichtung“ mit „Gewissheit“ attestiert. Belege dafür liefern das 1.108-seitige Dokument zuhauf. „Fast alle Mitglieder des Bundesvorstands werden mit belastenden Aussagen zitiert“, schreibt der SPIEGEL, der das vertrauliche Dokument gelesen hat. In der „obersten Führungsstruktur der AfD“ herrsche eine „verfestigte fremdenfeindliche Haltung“, so der Verfassungsschutz, der das Wort „Rassismus“ auch 2025 noch immer nicht zu kennen scheint. Für den früheren Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist die AfD trotz allem ein potentieller Koalitionspartner. Der Lebensgefährte der aktuellen Wirtschaftsministerin Katharina Reiche sieht die CDU/CSU als möglichen Juniorpartner in einer AfD-geführten Regierung ab 2029.

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des 2. Weltkriegs, es ist der Tag, an dem die Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation unterzeichnete. International wird der „Tag des Sieges“ gefeiert, in Westdeutschland galt das Datum lange als Tag der Niederlage und wurde erst mit der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizäcker anlässlich des 40. Jahrestags offiziell als „Tag der Befreiung“ bezeichnet. Doch der Widerstand konservativer Kräfte ist nach wie vor stark, was u.a. verhindert, dass der 8. Mai als gesetzlicher Feiertag anerkannt wird. Inzwischen ist umstritten, ob der 8. Mai als „Tag der Befreiung“ begangen werden sollte, denn es steht fest, dass der Faschismus ja nicht einfach weg war, nachdem Deutschland militärisch kapitulierte. „Befreiung“ suggeriert, Deutschland sei von da an „frei“ vom Faschismus gewesen, was es bis heute nachweislich nicht ist. Dass seit Gründung der Bundesrepublik NS-Täter*innen in verantwortlichen Positionen weiter wirken konnten, spricht nicht gerade für die angebliche Befreiung des Landes. Ein Grund zum Feiern ist der 8. Mai aber allemal. Die Losung „Wer nicht feiert, hat verloren“ gilt seit nun mehr 80 Jahren. Die AfD feiert entsprechend selbstverständlich nicht. Im Europaparlament blieb die Fraktion sitzen, als sich die Abgeordneten zum Gedenken an das Kriegsende erhoben. Alice Weidel hatte den 8. Mai vor zwei Jahren als „Niederlage“ bezeichnet und auf die Frage, warum sie eine Einladung der russischen Botschaft zum Jahrestag ablehnte, so begründet: „Also hier die Niederlage des eigenen Landes zu befeiern mit einer ehemaligen Besatzungsmacht, das ist etwas, wo ich für mich persönlich entschieden habe – auch mit der Fluchtgeschichte meines Vaters –, daran nicht teilzunehmen.“ Für die rechtsextreme AfD steht am 8. Mai die Trauer an erster Stelle. Der Gymnasiallehrer und kulturpolitische Sprecher der AfD im Bundestag, Götz Frömming, findet beim Gedenken an das Weltkriegsende sollten heute „für uns die eigenen Gefallenen an erster Stelle stehen, so wie es in anderen Ländern auch der Fall ist“. Der Begriff Befreiung sei „unpassend“, sagte er der FAZ. Die AfD Brandenburg erklärte in ihrem Telegram-Kanal: „Niemand spricht von den deutschen Opfern – außer uns!“

In Berlin war der Donnerstag (8. Mai) in diesem Jahr arbeitsfrei – ein einmaliger Feiertag zum 80. Jahrestag. Wie auch im Vorjahr waren Fahnen und Symbole mit Bezug zu Russland und der Sowjetunion verboten. Sowjetische Flaggen könnten als „Sympathiebekundung“ für Russlands Krieg gegen die Ukraine verstanden werden, erklärte das Verwaltungsgericht Berlin, das einen Eilantrag verhandelte. Es drohe der „Eindruck eines Siegeszuges“, was die „Würde der Opfer“ und „den öffentlichen Frieden“ beeinträchtige. Sowjetfahnen käme „eine Bedeutung zu, die geeignet sei, Gewaltbereitschaft zu vermitteln“. WTF. Dass die Sowjetunion ein multiethnischer Staat war und in der Roten Armee längst nicht nur Russen kämpften, ignoriert das Gericht dabei genauso wie die Tatsache, dass die Sowjetunion mit 27 Millionen Toten die größte Opferzahl der insgesamt 60 Millionen NS-Opfer stellt. Deren Nachfahren eine Teilnahme am Gedenken nur „inkognito“ zu ermöglichen, während gleichzeitig die USA-Flagge weht, ist beschämend. Natürlich ist es belastend, wenn russische Nationalist*innen den 8./9. Mai zum Anlass nehmen, ihre Putintreue zur Schau zu stellen, aber was ist aus „Das muss eine Demokratie aushalten können“ geworden? Als eine Gruppe Antideutscher beim Gedenken auf dem Bebelplatz eine Israelfahne entrollte, störte sich jedenfalls niemand sichtlich daran. Dass gleichzeitig die Tochter eines KZ-Überlebenden darüber sprach, wie Sinti*zze und Roma in Auschwitz-Birkenau verhungerten, machte die Aktion nur umso geschmackloser.

Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir sprach sich unterdessen dagegen aus, Hilfslieferungen nach Gaza wieder zuzulassen. Angeblich hätten die Palästinenser genug und: „Die Lebensmittellager der Hamas sollten bombardiert werden“, sagte er der Tagesschau zufolge. Seit zwei Monaten kommen keine Lebensmittel, kein Trinkwasser, keine Medikamente mehr nach Gaza. „Mehr als 116.000 Tonnen Nahrungsmittelhilfe – genug, um eine Million Menschen bis zu vier Monate lang zu ernähren – stehen an den Hilfskorridoren bereit“, erklärte die UN-Organisation World Food Programme (WFP) bereits am 25. April: „Wenn nicht dringend etwas unternommen wird, um die Grenzen für Hilfsgüter und Handel zu öffnen, könnte die wichtige Hilfe des WFP eingestellt werden.“ Der Hilfsorganisation World Central Kitchen sind alle Vorräte ausgegangen, die Versorgung der hungernden Menschen wurde eingestellt. Israel hatte Anfang der Woche verkündet, die Besatzung der palästinensischen Gebiete noch auszuweiten und Gaza dauerhaft zu besetzen. Die verbliebenen Palästinenser*innen sollten „umgesiedelt“ werden. „Damit trifft die israelische Regierung erneut eine Richtungsentscheidung, die gegen internationales Recht, humanitäres Völkerrecht und international verbriefte Menschenrechtsstandards verstößt. Mit der geplanten erneuten Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung in den Süden des Küstenstreifens wird vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine ethnische Säuberung vorbereitet“, erklärt Katja Hermann, Referentin für Westasien bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Am Donnerstag (8. Mai) sicherte Bundeskanzler Friedrich Merz dem per internationalem Haftbefehl gesuchten israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu seine Unterstützung zu und „bekräftigte er, dass die Sicherheit und Existenz Israels Teil deutscher Staatsraison sind“.

Weitere Meldungen diese Woche

Auch diese Woche ereigneten sich wieder einige Feminizide. In Krefeld hat am Mittwoch (7. Mai) ein 25-Jähriger mutmaßlich seine 41-jährige Kollegin in einer New Yorker Filiale erstochen. Ein 34-Jährige aus Oberfranken wurde bereits in der Nacht zu Samstag auf einem Parkplatz im österreichischen Maria Alm von ihrem 32-jährigen Ex-Partner erschossen, als sie sich dort mit ihm zu einer Aussprache traf. Am Sonntagvormittag wurde in Waren (Mecklenburg-Vorpommern) die Leiche einer 63 Jahre alten Frau gefunden. Offenbar wurde sie in ihrer Wohnung von ihrem 74-jährigen Ehemann erstochen. Am Montag (5. Mai) wurde eine 40-Jährige in Goslar (Niedersachsen) mutmaßlich von ihrem 50 Jahre alten Ehemann in Brand gesetzt, bevor sie aus dem Fenster stürzte oder gestoßen wurde. Die vierfache Mutter verstarb kurz darauf im Krankenhaus. Am Dienstag (6. Mai) wurde in der Dortmunder Innenstadt eine mutmaßlich obdachlose Frau von zwei Männern totgeschlagen. Die 40-Jährige verstarb in der Nacht zu Mittwoch an ihren schweren Verletzungen. Ein 19- und ein 26-jähriger Tatverdächtiger wurden festgenommen.

Gegen den Generalmajor Hartmut Renk, Vizekommandeur des Nato-Kommandos zur Koordinierung der Ukrainehilfe in Wiesbaden, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, nachdem er bei einer Teambesprechung gesagt haben soll: „If rape is inevitabe, relax and enjoy.“ („Wenn Vergewaltigung unvermeidbar ist, entspann dich und genieße es.“) Er habe es „sarkastisch und ironisch“ gemeint und „damit die Mannschaft motivieren wollen“, berichtet Stern.de.

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