Die Lufthilfe für Gaza ist ineffektiv, die Diskussion, wie hungernde Kinder aussehen dürfen, lenkt vom Völkermord ab und Deutschland lässt Nazis den Vortritt vor dem Gedenken an den Porajmos. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW31
In der Nacht von Sonntag auf Montag (28. Juli) wurde vor einer Flüchtlingsunterkunft in Burgoberbach in Bayern ein abgetrennter Schweinekopf abgelegt. Immer wieder kommt es zu Fällen von antimuslimischem Rassismus und immer wieder werden die Taten verharmlost. Der Spiegel spielte es zum „unappetitlichen Vorfall“ herunter und bezeichnete es als „Provokation“, statt als die Gewalt, die es ist. Was das Vorfinden eines Schweinekopfs für die Betroffenen bedeutet, hat eine Familie aus Berlin vor einiger Zeit im Interview mit der „Opferperspektive“ erzählt. Der antimuslimische Rassismus in Deutschland ist auf einem Höchststand. Mehr als acht antimuslimische Übergriffe und Diskriminierungen pro Tag, über 3.000 Fälle insgesamt, zählte die CLAIM-Allianz im vergangenen Jahr und spricht von einer „alarmierenden Jahresbilanz“.
Nachdem inzwischen sogar verschiedene israelische NGOs das Vorgehen der Netanjahu-Regierung als „Völkermord“ bezeichnen, haben auch deutsche Prominente eingesehen, dass ihr aktives Schweigen zum Genozid zunehmend dem eigenen Image schadet. Und so haben sich am Donnerstag (31. Juli) 205 Promis aus dem Kulturbereich „mit tiefster Dringlichkeit und menschlicher Hoffnung“ an Friedrich Merz gewandt und den sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an Israel gefordert. Besser spät als nie und ein paar größere Namen sind auch dabei, sodass immerhin die Medien berichten. Gleichzeitig überdeckt der Appell nach über 60.000 getöteten Palästinenser*innen nicht die Tatsache, dass eben diese Prominenten nicht nur bis jetzt geschwiegen haben, sie haben auch mehrheitlich diejenigen ihrer Kolleg*innen im Stich gelassen, die schon vor Monaten oder Jahren auf das Leid in Gaza und die Vernichtungsabsicht rechtsextremer israelischer Politiker*innen hingewiesen haben. Die Erstunterzeichner des Briefes, Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, hatten kurz nach dem 7. Oktober 2023 die Rapperin Nura wegen eines „Free Palestine“-Posts aus ihrer Pro7-Sendung „Late Night Berlin“ ausgeladen. Auch als Helen Fares wegen ihrer pro-palästinensischen Positionen vom SWR gefeuert wurde, gab es keine Solidarität, genauso wenig wie für Nemi El-Hassan, die 2021 vom WDR entlassen wurde, weil sie als Jugendliche an einer anti-israelischen Al-Kuds-Demo teilgenommen hatte, oder für Matondo Castlo, der, nachdem er bei einem Jugend-Festival in Palästina war, nicht länger beim KiKa moderieren durfte.
Statt Israel die Unterstützung für den Genozid zu entziehen, hat Deutschland heute (Freitag, 1. August) begonnen, Hilfsgüter aus der Luft über Gaza abzuwerfen. Obwohl Hilfsorganisationen betonen, dass Lufthilfe ineffektiv, teuer und gefährlich ist, beteiligt sich die Bundeswehr mit zwei Flugzeugen an der Luftbrücke, anstatt dass die Regierung Druck auf Israel ausübt, die Blockade aufzuheben, humanitäre Hilfe über den Landweg zu erlauben und die Besatzung zu beenden. „Ich halte die sogenannte Luftbrücke vor allen Dingen für eine Imagekampagne“, erklärte Riad Othmann von medico international am Mittwoch (30. Juli) bei der Bundespressekonferenz. Es sei „nicht viel mehr als eine gesichtswahrende Maßnahme der israelischen Regierung“. Die „Würde der Hilfeempfangenden“ werde bei Luftabwürfen nicht gewahrt, es sei „survival of the fittest“. Dass Hilfe dringend nötig ist, sollte jedem denkenden und fühlenden Menschen klar sein. Martin Frick vom UN-Welternährungsprogramm berichtet von ausgehungerten Menschen in größter Verzweiflung und sagt: „Es ist tatsächlich die Hölle auf Erden“. Trotzdem finden deutsche Journalist*innen und rechte Meinungsmacher noch Wege, die immense Not zu relativieren oder ganz zu leugnen. Ganz vorn mit dabei ist der islamhassende FDP-Politiker Tobias Huch, der schrieb, die Fotos der ausgehungerten Kinder zeigten in Wahrheit „Kinder mit Erbkrankheiten“, die auf „Cousin-Ehen“ zurückzuführen seien, die außerdem „für einen niedrigeren IQ“ sorgen würden. Das ist nicht nur elend rassistisch, sondern auch ableistisch, aber Huch steht damit leider nicht allein. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) behauptete am Mittwoch in einer Stellungnahme, die „Fotos von stark abgemagerten Kindern“ seien „manipuliert“, der „Zustand“ der Kinder sei „offenbar nicht auf die Hungersnot in Gaza zurückzuführen“. Sogar die New York Times sah sich gezwungen eine Richtigstellung zu veröffentlichen, nachdem sie ein Foto eines unterernährten Kinds publiziert hatte: „Nach der Veröffentlichung des Artikels erfuhr die Times von seinem Arzt, dass Mohammed auch bereits zuvor gesundheitliche Probleme hatte.“ In einem Gastartikel für die FAZ erklärte der Arzt Cihan Çelik: „Hungersnöte treffen eben zunächst die Menschen, die am anfälligsten für Unterernährung sind, zum Beispiel kranke Kinder. Ihr Zustand ist real und keine ‚Übertreibung‘. Dabei definiert sich eine Hungersnot nicht durch dramatisch ausgemergelte Körper, sondern durch den Mangel an Nahrung. (…) Unterernährte Kinder mit Vorerkrankungen sollten nicht weniger Erschütterung auslösen als unterernährte gesunde Kinder. Sie haben dasselbe Recht auf Leben, Nahrung und Würde.“ Die Debatte um die Bilder lenke „den Blick weg von der politischen Verantwortung“ und: „Der Vorwurf, kranke Kinder würden instrumentalisiert, lässt sich umdrehen: Ihre Erkrankungen werden instrumentalisiert, um den Hunger in Gaza kleinzureden.“
Vor zwei Wochen wurden 81 Menschen mit dem Flugzeug nach Afghanistan deportiert. „Straftäter“, wie der Innenminister betonte und die Medien obrigkeitshörig nachplapperten. Für die Abschiebungen gebe es ein „ganz berechtigtes Interesse der Bürgerinnen und Bürger“ hieß es. Nun kam raus: Mindestens drei der Deportierten wurden direkt aus psychiatrischen Kliniken abgeschoben, waren krank. Die Tagesschau berichtete am Donnerstag (31. Juli) über den Vorwurf, dass die Abschiebungen rechtswidrig waren. Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes legt fest, dass Abschiebungen verboten sind, wenn „Ausreisepflichtige“ krank sind und im Zielland nicht medizinisch versorgt werden können. „Abschiebungen aus Psychiatrien sind absolut unverantwortlich und ein Skandal. Schließlich geht es hier um Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand, die offensichtlich auf professionelle Behandlung angewiesen sind. Die kann in vielen Herkunftsländern nicht gewährleistet werden, in Afghanistan aber auf keinen Fall“, stellt Pro Asyl klar.
Am Samstag (2. August) ist der Internationale Gedenktag des Völkermords an den Sinti und Roma. Mindestens eine halbe Millionen Sinti*zze und Rom*nja wurden von den Nazis in Deutschland zwischen 1938 und 1945 ermordet. Allein am 2. August 1944 wurden im Konzentrationslager Auschwitz 4.000 (VIERTAUSEND) Menschen in den Gaskammern ermordet, nachdem die Deutschen beschlossen hatten, das sogenannte „Z-Lager“ zu schließen. (Ich habe den rassistischen Begriff abgekürzt.) Der „Porajmos“ (= „das Verschlingen“) bildete den Höhepunkt jahrhundertelanger Unterdrückung und Verfolgung. In Deutschland sind die ermordeten Sinti*zze und Rom*nja bis heute „Opfer zweiter Klasse“. Das zeigte sich zum Beispiel auch gerade in Berlin: denn das Gedenken an den Porajmos wurde kurzerhand verschoben, auf heute, Freitag (1. August). Wie der Tagesspiegel meldet, ist der Grund dafür möglicherweise die am Samstag stattfindende Nazi-Demo von „Querdenken“, bei der sich hunderte Nazis am Brandenburger Tor versammeln werden. Das Denkmal für die ermordeten Sini*zze und Rom*nja befindet sich in unmittelbarer Nähe. Die Initiative „Roma Trial“ kommentierte auf Instagram: „Dass dieses Gedenken in Deutschland – dem Land der Täter – wegen einer Großdemo auf den 1. August verlegt werden soll, trifft viele von uns hart. Es wirkt wie ein erneutes Unsichtbarmachen -ausgerechnet an einem der schmerzhaftesten Tage für unsere Communities. Der 2. August ist kein ‚flexibler Termin‘. Er ist ein Tag des Erinnerns, des Widerstands und des Trauerns. Wenn der Porajmos nicht mal an diesem Tag Priorität hat – wann dann?“
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