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Teilnehmer*innen auf der Gegenkundgebung am 24. September in Berlin. Foto: Celestine Hassenfratz

Recht auf Selbstbestimmung aus inter* Perspektive

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  • Beitrags-Kommentare:Ein Kommentar

Am Samstag, 24. September, fand in Berlin eine Kundgebung gegen einen Aufmarsch von transfeindlichen Radikalfeministinnen statt. Es wurden verschiedene Redebeiträge gehalten, die die Gemeinsamkeit der Kämpfe für körperliche Selbstbestimmung deutlich machten. Einen der Redebeiträge hielt Frieda und ich freue mich sehr, dass sie mir das Okay gegeben hat, ihn hier zu veröffentlichen:

Hallo ihr, alles klar?
mein Name ist Frieda und ich bin hier, weil ich finde, wir brauchen ein Selbstbestimmungsgesetz. Für mich als Inter*Person ist es deshalb wichtig, heute hier zu sein, und mich solidarisch zu zeigen, mit allen trans*inter*nichtbinären Menschen und ihren Kämpfen.

Für alle, die es noch nicht wissen: laut der UN sind 1,7% der Bevölkerung intergeschlechtlich. Das sind so viele Menschen, wie es Zwillinge gibt, also Menschen mit Zwillingsgeschwistern. Das sind auf Berlin gerechnet, 62.000 Menschen. Das ist eine ganze Menge. (auf Schalke) Wir sprechen von Inter* oder Intergeschlechtlichkeit, wenn der Körper einer Person nicht den gängigen Vorstellungen von “weiblichen” oder “männlichen” Körpern entspricht. Inter* kann ein breites Spektrum von angeborenen Variationen der Geschlechtsmerkmale bedeuten. Und: Intergeschlechtlichkeit kann sich in allen Lebensphasen zeigen: vor oder bei der Geburt / während der Kindheit / im Jugendalter / während der Pubertät oder im Erwachsenenalter. Manche Menschen stoßen erst über ihr trans-Sein auf ihre Intergeschlechtlichkeit. Viele wissen selbst (noch) nicht, dass sie intergeschlechtlich sind.

Und was ist nun die Inter* Perspektive auf das Selbstbestimmungsgesetz? Warum brauchen wir das auch für Inter* Personen?

Seit 2013 kann für Neugeborene inter* Kinder der Geschlechtseintrag offen gelassen werden, später stellte sich heraus, auch Erwachsene Inter*Personen können darüber ihren Eintrag löschen lassen. Dann klagte eine Inter*Person sich bis zum Bundesverfassungsgericht durch und nun gibt es seit 2018 die Möglichkeit, den Personenstand als „divers“ eintragen zu lassen oder keinen Eintrag zu haben. Ein Fortschritt, könnten wir denken. Aber selbst mit diesem scheinbaren Fortschritt sind inter* Personen und alle anderen die über diese Regelung etwas ändern wollen, auf ein medizinisches Attest angewiesen.

Um diesen Eintrag zu bekommen, muss ein Attest über das Vorliegen einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegen. „Variante der Geschlechtsentwicklung“ – ein Begriff, der nicht weit weg von Störung oder Krankheit ist. Und ein Verfahren, was Leute retraumatisiert und Menschen Angst macht. Und die Entscheidung darüber, ob das jetzt geht oder nicht in die Hände von anderen – nämlich Mediziner_innen legt.

Ich mach das mal nochmal kurz deutlich für euch: ich habe mir vor ein paar Wochen dieses Attest von meiner Endokrinologin geben lassen, um damit meinen Personenstand ändern zu lassen. Das heißt dieselbe Ärztin, der ich seit Monaten erkläre, was ich und mein Körper eigentlich brauchen, und was sie tun muss, um ihren Job richtig zu machen – die hatte das Recht, darüber zu bestimmen, ob ich meinen Personenstand ändern darf. Was zur Hölle? Was soll diese Fremdbestimmung?

Wer hat je den Personenstand von Cis-Personen bestätigt? Wer prüft, ob Menschen, die bei der Geburt weiblich oder männlich zugewiesen wurde, dieses Label auch tragen dürfen? Wer macht das? Ach ja, die sexistische Mehrheitsgesellschaft macht das… Und damit machen die Leute da drüben auf der anderen Kundgebung also gemeinsame Sache?

Abgesehen davon, kann es nicht sein, dass dieses Gesetz nur bestimmten Menschen zugänglich gemacht wurde. Also, wir brauchen ein Selbstbestimmungsgesetz für alle!

Wir müssen gemeinsam dafür streiten, dass wir ein Selbstbestimmungsgesetz bekommen, das seinen Namen auch verdient, nämlich ein Gesetz, das gewährleistet, dass trans*, inter* und nichtbinäre Personen keine Gewalt mehr erfahren, wenn sie ihren Personenstand ändern wollen. Keine Gewalt durch Mediziner_innen, keine Gewalt durch Gutachter_innen, keine Gewalt durch Standesbeamt_innen. Ein selbstbestimmter, frei wählbarer Personenstand muss für alle möglich sein!

Ich will noch ein weiteres, total wichtiges Thema für mich und uns alle ansprechen. Die Ampel-Koalition sagt immer, wir machen mal das SBG und dann sprechen wir danach darüber, was das für die Behandlungsrichtlinien und Kostenübernahmen durch die Krankenkassen bedeutet.

Das ist aber ein Thema, was unbedingt so schnell wie möglich geklärt werden muss! Denn die Folgen, die der aktuelle Zustand in der Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkassen für Inter*Personen hat, sind krass.

In einer Welt, in der selbst Spielsachen für Neugeborene gegendert werden, werden auch Diagnosen, Untersuchungen und Behandlungsbedarfe für alle anderen gegendert

Das löst regelmäßig Probleme für Inter*Personen in der Behandlung aus, denn teilweise können Ärzt*innen einfach nicht die richtige Behandlung oder Untersuchung anweisen, weil die Krankenkasse diese Kosten entsprechend des Personenstandes der Person nicht übernimmt.

  • Da geht es um Hormonersatztherapien für Inter*Personen
  • Oder um Knochendichtemessungen, die nicht übernommen werden
  • Oder um Brust-Angleichungen entsprechend der Geschlechtsidentität

Das alles ist – entgegen der Krankenkassenrichtlinien – irgendwie machbar und möglich, aber eben nur mit gewillten und motivierten Ärzt*innen an deiner Seite und einer riesigen Menge an Durchblick, Durchhaltevermögen und Organisationstalent. Wer das nicht hat, trägt oft Langzeitfolgen von schlechter Behandlung und unzureichender Untersuchung mit sich herum.

Und das kann nicht sein, dass trans*, inter* und nichtbinäre Personen einfach die ganze Zeit vom Gesundheitssystem drangsaliert werden – wir brauchen hier eine Gleichberechtigung aller im Zugang zu Gesundheitsversorgung. Und zwar ganz schnell!

Ich komme zum Schluss und will nochmal meine Forderungen wiederholen:

  • Wir brauchen ein Selbstbestimmungsgesetz! Die Änderung des Personenstandes beim Standesamt muss für alle frei zugänglich sein und die Erklärung der Person selbst muss ausreichen!
  • Wir brauchen, damit zusammenhängend, ein Verfahren der Dokumentenberichtigung bei neuem Personenstand und / oder Namen für alle!
  • Außerdem brauchen wir eine Kostenübernahme für Behandlungen durch die Krankenkasse unabhängig vom Personenstand!

Ich bin hier, weil wir als trans* inter* und nichtbinäre Menschen schon immer gemeinsam gekämpft haben, und ich finde wir sollten das auch weiterhin tun. Wir müssen solidarisch miteinander sein und unsere Kämpfe verbinden.

Danke dass ihr heute hier seid und Stellung bezieht! Dankeschön!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Jule

    Danke Frieda für diesen Redebeitrag! So viele wichtige Punkte, die leider viel zu oft kein Gehör finden!

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