Das Sondierungspapier von Union und SPD steht für Rassismus und soziale Kälte, die Dortmunder Polizei hat schon wieder einen Menschen erschossen, in Berlin wurde ein obdachloser Mann getötet und in Syrien läuft ein Massaker gegen Alawit*innen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW11
Die Woche begann mit dem Tod eines mutmaßlich obdachlosen 33-Jährigen in Berlin. Der Mann hatte offenbar in einem Papiercontainer in Berlin-Mitte übernachtet und wurde bei dessen Entleerung am frühen Montagmorgen (10. März) im Müllwagen zerquetscht. Die Berliner Feuerwehr erklärte, die Müllwerker*innen hätten den Menschen in das Müllfahrzeug fallen sehen und seine Hilferufe gehört. Die hinzugerufene Feuerwehr konnte nur noch die Leiche bergen. In was für einer Gesellschaft leben wir, dass Menschen in Müllcontainern schlafen? Der Tod des 33-Jährigen ist kein tragischer Unfall, sondern direkte Folge eines kapitalistischen Systems, in dem die Profite von Wohnungskonzernen und Vermieter*innen über das Grundrecht auf ein Leben in Würde gestellt werden. Es ist das Ergebnis einer Wohnungs- und Stadtpolitik, die steigenden Mieten und Verdrängung nicht nur nichts entgegensetzt, sondern sie noch fördert. Einer Hochrechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren im Jahr 607.000 Menschen in Deutschland wohnungslos, 50.000 lebten ganz ohne Unterkunft auf der Straße. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass diese Zahlen drei Jahre später gesunken sind.
CDU/CSU und SPD wollen miteinander koalieren, so viel steht fest. Anfang der Woche veröffentlichten sie ihr Sondierungspapier, also die Vorstufe eines möglichen Koalitionsvertrags. „Was die künftige Bundesregierung plant, ist inhuman und schäbig“, fasst es der Geschäftsführer von Pro Asyl Karl Kopp zusammen. Die künftige Bundesregierung will schutzsuchende Menschen an der Grenze zurückweisen und die, die schon da sind schnellstmöglich loswerden. Als „Rückführungsoffensive“ wird das Vorhaben bezeichnet, bei dem Geflüchtete ohne Rechtsbeistand deportiert werden sollen. Die Bundespolizei soll die Befugnis erhalten, Abschiebehaft anzuordnen. Der Familiennachzug soll ausgesetzt und die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ausgeweitet werden. „Das Sondierungspapier macht klar: Flüchtlinge sollen draußen bleiben“, sagt Kopp. Union und SPD sendeten damit eine klare Botschaft an andere EU-Staaten, die „eine Kaskade der Abschottung“ auslösen könne. Aber nicht nur Asylsuchenden gegenüber zeigt das Schwarz-Rote Bündnis seine unmenschliche Seite. Für Bürgeldbezieher*innen sollen die „Mitwirkungspflichten und Sanktionen“ verschärft werden: „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, heißt es im Sondierungspapier. Diese Totalkürzung, also das Vorenthalten des als Grundrecht festgelegten Existenzminimums, wäre verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Hilfebedürftigen alle materiellen Voraussetzungen zustehen, die für ihre physische Existenz zwingend benötigt werden, also neben Nahrung und Unterkunft auch Hygiene und Gesundheit. Rassismus, soziale Kälte und Geschenke an Reiche und die Wirtschaft – so ließe sich das Sondierungspapier zusammenfassen. Dass die SPD, die den Älteren unter uns noch als (ehemalige) Arbeiter*innen-Partei bekannt ist, 20.714 Euro Steuergeschenke für jede*n Superreiche*n zustimmt, die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit abschaffen, die Körperschaftssteuer von 15 auf 11 Prozent senken und den Solidaritätszuschlags für Unternehmen abschaffen will, ist innerhalb der Partei umstritten. „Dass die SPD-Spitze diese Einigung als Erfolg verkauft, zeigt, wie weit der Rechtsruck fortgeschritten ist“, sagt Benedikt Lang, Vorsitzender der Jusos in Bayern und muss jetzt auf die Genoss*innen an der Basis hoffen: Die SPD plant, die Mitglieder über eine Beteiligung an der Koalition mit der Union entscheiden zu lassen.
Die SPD-Führung kriegt vom möglichen Unmut an der Basis offenbar nichts mit, zu beschäftigt ist sie damit, die Stiefel von Friedrich Merz zu lecken. Das zeigte sich heute (Freitag, 14. März) im Rechtsausschuss, wo sich die SPD-Abgeordneten (bis auf einer) der Abstimmung über den Gesetzesentwurf zur Abschaffung von § 218 enthielten. Die Grünen hatten das Thema kurzfristig erneut auf die Tagesordnung gesetzt. „Wir wollten die letzte Chance nicht vertreichen lassen, eine progressive Mehrheit für Frauenrechte und die Legalisierung von Abtreibungen zu erhalten. Diese Chance wurde heute vertan, und sie wird sich voraussichtlich in den nächsten Jahren nicht mehr bieten“, erklärte die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws auf Instagram. Die Enthaltung der SPD hätte die Mehrheit von CDU/CSU, FDP und AFD zwar nicht verändert, ist aber trotzdem ein deutliches Zeichen gegen das Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung und ein Wegweiser in die schwarze Zukunft, in der kein Tropfen rot erkennbar sein wird.
Letzte Woche habe ich hier darüber geschrieben, wie die Behörden sich beeilten, ein politisches Motiv des Attentäters von Mannheim auszuschließen und dessen Verbindungen in die rechtsextreme Szene zu ignorieren. Dass das Verharmlosen rechter Ideologien im Zusammenhang mit Gewalttaten in Deutschland System hat, zeigte sich diese Woche an einem weiteren Beispiel. Vor einem Jahr steckte ein 39-Jähriger ein Mehrfamilienhaus in Brand und tötete eine türkisch-bulgarische Familie: die 28- und 29 Jahre alten Eltern sowie deren zwei Jahre bzw. drei Monate alten Töchter. Der Täter steht nun in Wuppertal vor Gericht, wegen vierfachen Mordes und versuchten Mordes an bis zu 21 Menschen. Die Staatsanwaltschaft hatte schon kurz nach der Tat erklärt: „Anhaltspunkte, die auf ein fremdenfeindliches Motiv deuten, liegen nicht vor.“ Doch nun kamen im Prozess Dateien zur Sprache, die auf der Festplatte des Angeklagten gefunden wurden: 166 Bilder mit rechtsextremem Inhalt, „NS-verharmlosende Darstellungen, Hitlerbilder und menschenverachtende Kommentare über Jüd:innen und Schwarze Menschen“, berichtet die taz am Dienstag (11. März). Dass die Bilder überhaupt Gegenstand der Gerichtsverhandlung sind, ist dem Engagement der Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız zu verdanken, die das Verhalten von Polizei und Justiz kritisiert: „Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass sich die Staatsanwaltschaft so wenig mit dem möglichen Tatmotiv beschäftigt hat. (…) Wieder einmal übernehmen Anwältinnen Aufgaben, die eigentlich die Staatsanwaltschaft erledigen müsste“, sagte sie.
Pünktlich zum Internationalen Frauentag machte die faschistische Regierung Italiens Schlagzeilen mit ihrer Ankündigung, Femizide in Zukunft grundsätzlich mit lebenslanger Haft zu bestrafen. „Die Regierung hat einen äußerst bedeutsamen Gesetzesentwurf verabschiedet, der den Femizid als eigenständiges Verbrechen in unser Rechtssystem einführt“, erklärte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stolz. Ein Vorhaben, dass auch von vielen Feminist*innen begrüßt wird: Endlich ein hartes Vorgehen gegen Frauenmorde! Schluss mit der Verharmlosung der Taten! Viel zu oft wurde (übrigens auch in Deutschland) eine emotionale Beziehung zwischen Täter und Opfer als strafmildernd angesehen, die Tötung als Affekthandlung gewertet. Das ist in der Tat ein großes Problem der Justiz. Die Besitzansprüche von Männern werden als „Eifersucht“ und die vermeintliche Verzweiflung des Täters als mildernder Umstand bewertet. Die gleiche verharmlosende Haltung liegt zugrunde, wenn Richter*innen entscheiden, dass ein Mann, der seiner Partnerin Gewalt antut, trotzdem „ein guter Vater“ sein könne und deshalb unbedingt Anrecht auf Umgang mit den gemeinsamen Kindern haben müsse. Die Justiz hat definitiv Lernbedarf, was die Bewertung misogyner Gewalt angeht. Aber: Die Forderung nach härteren Strafen bei Gewalt gegen Frauen entstammt der Strömung des „Carceral Feminism“, des sogenannten Strafrechtsfeminismus. „Täter lebenslang wegsperren!“ erfüllt vielleicht vordergründig das Bedürfnis nach „gerechter“ (als ob) Bestrafung. Auf den zweiten Blick sollte aber Feminist*innen klar werden, dass strafrechtliche Ansätze KEINERLEI gesellschaftsverändernde Wirkung haben. Der Täter schmort im Knast, das bringt aber weder die Getötete zurück, noch beugt es anderen Taten dieser Art vor. Feminizide werden in dieser Logik als Einzelfälle, als individuelle Tat zwischen Täter und Opfer angesehen. Das Opfer ist tot, der Täter wird hart bestraft. Fall erledigt.
Gewalt gegen Frauen und marginalisierte Geschlechter entspringt einem patriarchalen System. Sie findet nicht im luftleeren Raum statt und ist auch keine Privatangelegenheit. Wie die Täter bestraft werden, hat keine strukturelle Auswirkung auf das System der Gewalt. Es braucht Prävention. Es braucht Gewaltschutz, um Feminizide zu verhindern. Es braucht Täterarbeit. Es braucht einen strukturellen Wandel, in der das System der Misogynie bekämpft wird, von dem Feminizide nur die Spitze des Eisbergs bilden. Das der Vorstoß in Italien von einer faschistischen Regierung kommt, ist kein Zufall. Und schon gar nicht ist es „die richtige Idee von den falschen Leuten“. Meloni und ihr Kabinett nutzen das Thema, um sich als Verteidiger*innen der Frauen zu inszenieren, während sie in Wahrheit eine antifeministische Agenda vorantreiben, die die Rechte von Frauen und Queers massiv beschneiden und gleichzeitig ein traditionelles Geschlechter- und Familienbild propagieren und verfestigen. Statt die Mörder der Getöteten härter zu bestrafen, brauchen lebende Frauen Rechte. Für eine Zukunft ohne Gewalt müssen die binären Geschlechterrollenvorstellungen überwunden werden, statt sie zu zementieren und feministische Bildung zu verbannen.
Seit Tagen vollzieht sich in Syrien vor den Augen der Welt ein Massaker an der alawitischen Minderheit im Land. In einem ersten UN-Bericht ist von Massenhinrichtungen an Alawit*innen die Rede. Teilweise seien ganze Familien getötet worden. Die Konfessionszugehörigkeit der Opfer habe bei den Hinrichtungen die entscheidende Rolle gespielt haben, sagte ein UN-Sprecher am Dienstag. Laut der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seien in der Küstenregion Syriens inzwischen über 1.470 Zivilpersonen von offiziellen syrischen Sicherheitskräften und Söldnern islamistischer Milizen getötet und teils auf offener Straße hingerichtet worden, berichtet ANF am Freitag (14. März). Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker sieht die Bundesregierung in der Pflicht zu handeln: „Deutschland steht in der Verantwortung, denn die Islamisten, die heute in Syrien an der Macht sind, wurden auch von Deutschland unterstützt“. In Die Zeit kommen fünf Menschen in Syrien zu Wort, die Zeug*innen der Gewalt wurden.
Die Woche endet mit einem weiteren Fall tödlicher Polizeigewalt. In Dortmund erschossen Polizeikräfte einen 70 Jahre alten Mann, der zuvor „randaliert“ haben soll.
Weitere Meldungen diese Woche
- In der Schweiz wurde ein 19-Jähriger festgenommen, der einen rechtsextrem motivierten Anschlag auf die Synagoge in Halle geplant haben soll, die bereits am 9. Oktober 2019 Ziel eines Attentatsversuchs war. Damals war es dem Angreifer nicht gelungen, in das Gebäude einzudringen und er erschoss im Umfeld der Synagoge zwei Menschen. Wie die Mitteldeutsche Zeitung am Dienstag berichtete, wurde der 19-Jährige, der aus Halle stammen soll, bereits Mitte Februar verhaftet, nachdem er auf Telegram mit den Anschlagsplänen geprahlt und sich eine Waffe besorgt hatte. (MDR)
- Die am Dienstag vorgestellte „Rückführungsverordnung“ der EU-Kommission will die europäischen Abschieberegeln weiter verschärfen und den EU-Staaten erstmals sogenannte Rückführungszentren in Drittländern erlauben. „Dass die Kommission EU-Mitgliedstaaten ermöglichen will, abgelehnte Asylsuchende gegen ihren Willen in ihnen komplett fremde Länder zu schicken, ist absurd und unmenschlich – ein weiterer Tiefpunkt der EU-Asyl- und Migrationspolitik“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. (Tagesspiegel)
- Jacobin hat am Mittwoch ein Interview mit Lisa Poettinger veröffentlicht, die in Bayern nicht Lehrerin werden darf, weil sie sich im Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen engagiert. Lisa Poettinger sieht eine „Verschärfung der Repression gegen Oppositionelle im Allgemeinen“ und fürchtet: „Angesichts der Sondervermögen zur Militarisierung können wir auch mit einer weiteren Abriegelung nach innen rechnen“. (Jacobin)
- „Mehr als ein Mensch ertragen kann“ – Ein am Donnerstag veröffentlichter UN-Bericht sieht Anzeichen für einen Genozid an Palästinenser*innen und dokumentiert auch sexualisierte Gewalt als Mittel zur Unterdrückung und Kontrolle. (Spiegel)
- Am Freitag teilte die Staatsanwaltschaft Limburg mit, dass nach dem Fund „eines großen Waffenarsenals“ bei einem Jugendlichen und seinem Vater im mittelhessischen Beselich weiter ermittelt würde. Der Jugendliche sei in rechten Chatgruppen aufgefallen. Gegen beide Männer wird nun wegen Verstößen gegen das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz ermittelt. Haftgründe lägen keine vor, so die Staatsanwaltschaft. Vater und Sohn sind auf freiem Fuß. Klar, ist ja eine deutsche, nicht-muslimische Familie. (Frankfurter Rundschau)
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