Ungarn verbietet die Pride Parade, Donald Trump zerschlägt das Bildungsministerium, Erdoğan lässt seinen stärksten Kontrahenten verhaften und die Zahl getöteter Flüchtender ist so hoch wie nie. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW12
Auf den Tag genau ist es zehn Jahre her, dass der Spiegel über den geplanten „echten Abschreckungseffekt“ der EU berichtete, um Schutzsuchende Menschen vom Erreichen Europas abzuhalten. Eiskalt und effizient, es war nichts anderes zu erwarten.
Dass ausgerechnet heute (Freitag, 21. März) die UN-Organisation für Migration (IOM) meldet, dass im vergangenen Jahr fast 9.000 Menschen auf der Flucht getötet wurden, ist ein grausamer Zufall. 8.938 Menschen sind erfroren, ertrunken, verhungert oder wurden ermordet – so viele wie noch nie, seit Erhebung der Zahlen. Allein 2.452 Menschen sind offiziell im Mittelmeer ertrunken. Die wahre Anzahl der Todesopfer ist nicht bekannt, da viele Leichen überhaupt nicht gefunden oder registriert werden.
Am Montag (17. März) wurden im US-Bundesstaat Texas Maria Margarita Rojas, 48, und Jose Ley, 29, verhaftet. Ihr Verbrechen: Schwangerschaftsabbrüche. Rojas, die als „Dr. Maria“ bekannt ist, ist eine Hebamme, die in drei Kliniken im Großraum Houston überwiegend spanischsprachige Menschen mit niedrigem Einkommen medizinisch versorgt. Ihr Mitarbeiter, Jose Ley, ist ein ausgebildeter Arzt aus Cuba, der in Texas keine Zulassung hat. Er lernte Maria Rojas bei den „Ärzten ohne Grenzen“ kennen. Beiden drohen nun lange Haftstrafen, die „illegale Durchführung einer Abtreibung“ kann in Texas mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden. Der texanische Generalstaatsanwalt, Ken Paxton, erklärte: „In Texas ist das Leben heilig. Ich werde immer alles in meiner Macht Stehende tun, um das ungeborene Leben zu schützen, die lebensfreundlichen Gesetze unseres Staates zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass Personen ohne Lizenz, die das Leben von Frauen durch illegale Abtreibungen gefährden, in vollem Umfang verfolgt werden. Das texanische Gesetz zum Schutz des Lebens ist eindeutig, und wir werden diejenigen, die es verletzen, zur Rechenschaft ziehen.“ Die Verhaftungen von Rojas und Ley sind die ersten seit der Aufhebung von „Roe v Wade“. Diese Grundsatzentscheidung zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch, fällte der US-Supreme Court 1973. Im Juni 2022 wurde das Urteil vom Obersten Gerichtshof aufgehoben, seitdem sind Abtreibungen in zahlreichen US-Bundesstaaten wieder illegal. In Texas gilt eines der strengsten Abtreibungsgesetze, selbst Abbrüche bei schweren Fehlbildungen des Fötus sind nicht erlaubt. Bürger*innen in Texas sind explizit aufgefordert, Menschen anzuzeigen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und auch diejenigen, die zu einer Abtreibung „beitragen“, etwa indem sie ungewollt Schwangere zur Klinik fahren. Die „Beihilfe“ wird mit 10.000 Dollar Geldstrafe geahndet. Denunziant*innen erhalten mindestens 10.000 Dollar Belohnung pro Meldung. Auch Maria Margarita Rojas und Jose Ley wurden offenbar verraten.
Am Dienstag (18. März) stimmte das ungarische Parlament mit einer Mehrheit von 137 Ja- zu 27 Nein-Stimmen für ein Gesetz, das es queeren Menschen verbietet, ihre Identität öffentlich zu feiern. Der rechtsextreme Ministerpräsident Viktor Orbán hatte bereits im Februar angekündigt: „Die Organisatoren der Pride sollten sich nicht um die Vorbereitung des diesjährigen Umzugs bemühen. Es wäre verschwendete Zeit und Geld.“ Faktisch geht es um eine Änderung des Versammlungsrechts. Das Abhalten von Veranstaltungen, die die „Darstellung oder Förderung von Homosexualität“ Minderjährigen zugänglich machen ist ab sofort eine Straftat, auch die Teilnahme ist strafbar. Wer sich trotzdem an einem Pride-Marsch beteiligt, soll mit Gesichtserkennungssoftware identifiziert und bestraft werden. „Dieses Gesetz ist ein Frontalangriff auf die LGBTI-Gemeinschaft und ein eklatanter Verstoß gegen die Verpflichtungen Ungarns, Diskriminierung zu verbieten und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten“, erklärte Amnesty International in einer Stellungnahme. Begründet wird das Pride-Verbot mit dem „Kinderschutz“ – die altbekannte antifeministische Erzählung der „Verschwulung von Minderjährigen“. Die angebliche Bedrohung der kindlichen Unschuld durch sichtbare Queerness ist das Topthema der internationalen Rechte. Sei es die Darstellung von alternativen Familienformen in Kinderbüchern, das Hissen von Regenbogenfahnen oder der Respekt vor selbstgewählten Pronomen: Jede Abweichung vom cis-heteronormativen Standard wird als Angriff auf die „natürliche Ordnung“ empfunden, als „Frühsexualisierung“ verunglimpft oder als sinistres Werk einer diabolischen „Translobby“ dargestellt. Der Widerstand dagegen gilt dann als legitime Selbstverteidigung. „Das ist kein Kinderschutz, das ist Faschismus“, erklärten die Organisator*innen des diesjährigen Budapest Pride. Das Event feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Und nur, falls ihr es vergessen habt: Ungarn ist EU-Mitglied. Sanktionen? Keine. Auch vom Auswärtigen Amt gibt es keine Verurteilung, lediglich ein „Bedauern“.
Antifeminismus und Autoritarismus sind nicht nur in Ungarn und den USA mittlerweile Staatsräson. Auch die Türkei macht große Schritte auf ihrem Weg in den Faschismus. Am frühen Mittwochmorgen (19. März) wurde der Oberbürgermeister Istanbuls, Ekrem Imamoğlu, in seinem Haus festgenommen. Offiziell wird ihm Korruption sowie Unterstützung der PKK vorgeworfen. „Die Gründe sind nicht juristisch, sondern politisch“, sagt Dr. Hürcan Aslı Aksoy, Leiterin des Zentrums für angewandte Türkeistudien der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Der wahre Grund ist, dass Imamoğlu wie auch der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş, – beide sind Mitglieder der Oppositionspartei CHP – in vielen Umfragen vor Präsident Recep Tayyip Erdoğan liegen.“ Mit der Festnahme kurz vor dem Parteitag der CHP will Erdoğans Regime verhindern, dass Imamoğlu zum Spitzenkandidaten gewählt wird, bzw. dass die Wahlen überhaupt stattfinden. Die Türkei sei schon lange ein autokratischer Staat, auch wenn trotz allem Wahlen stattfanden, wenn auch unter unfairen Bedingungen, sagt Aksoy: „Aber diesmal sehen wir zum ersten Mal in der Geschichte, dass die Regierung sogar Partei-interne Wahlen verhindert. Es ist ein Schritt zum vollen Autoritarismus. Es ist eine Art des zivilen Coups.“ Rechtsstaatlichkeit gibt es in der Türkei längst nicht mehr, doch von Deutschland oder der EU hat Erdoğan nichts zu befürchten.
Von den USA erst recht nichts: Dort arbeiten Elon Musk, Donald Trump und ihre Gefolgschaft selbst am Umbau des Staates in eine Autokratie. Das Drehbuch dazu war bereits vor der Wahl bekannt, nun schaut die Weltöffentlichkeit ungläubig bei dessen Umsetzung zu. Am Donnerstag (20. März) unterzeichnete der US-Präsident ein Dekret zur Auflösung des Bildungsministeriums. Es ist in vollem Gange, was der Chef der Heritage Foundation, Urheberin des Playbooks zum Staatsstreich, im letzten Juli vorfreudig verkündete: „Wir sind dabei, die zweite Amerikanische Revolution zu erleben, die unblutig bleiben wird, wenn die Linke dies zulässt“. Die „Linke“ (absurd genug die US-Demokrat*innen so zu bezeichnen) lässt es ganz offensichtlich zu. Bislang gibt es wenig Widerstand gegen Trumps Maßnahmen. „Das Ausmaß der Ereignisse in den USA ist beispiellos und erfordert einen genaueren Blick auf die scheinbar am schnellsten fortschreitende Autokratisierungsphase, die die USA in ihrer modernen Geschichte erlebt haben“, heißt es in einem Bericht des Forschungsinstituts Varieties of Democracy (V-Dem) mit Sitz an der Universität Göteborg: „Wenn es so weitergeht, wird die Demokratie keine weiteren sechs Monate halten.“ Trotzdem gibt es auffällig wenig Protest. „Gemessen daran, was Trump in den ersten sieben Wochen seiner zweiten Amtszeit schon alles angerichtet hat, ist die Gegenwehr erstaunlich übersichtlich“, schreibt etwa die Süddeutsche Zeitung (leider Paywall). In Deutschland sollten wir die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten sehr genau beobachten. Wer glaubt „sowas“ könnte hier nicht passieren, ist nicht nur naiv, sondern auch ganz schön arrogant. Demokratien sind fragil, kein Land ist sicher vor einem autoritären Umsturz. Es ist JETZT Zeit, sich zu organisieren, eine starke Zivilgesellschaft zu bilden und sich gegen Faschismus, Antifeminismus und zunehmenden Militarismus zusammenzuschließen. Den USA fehlen diese breiten Bündnisse, die Gewerkschaften als zivilgesellschaftliche Akteure. Das rächt sich gerade bitter.
Der Wochenrückblick endet mal wieder mit mehreren Feminiziden. In Thannhausen im Kreis Günzburg (Bayern) hat am Mittwoch mutmaßlich ein 54-Jähriger seine 55 Jahre alte Ehefrau erwürgt. Nach der Tat rief der Mann seinen Sohn an, um ihm zu sagen, dass er dessen Mutter getötet hat. In Neckargröningen, im Landkreis Ludwigsburg (Bayern), tötete am Donnerstag mutmaßlich ein 48 Jahre alter Mannseine gleichaltrige Frau in der gemeinsamen Wohnung. Die 14 und 15 Jahre alten Söhne sollen sich während der Tat ebenfalls in der Wohnung befunden haben. In Gera (Thüringen) überlebte eine 46-jährige Frau einen Tötungsversuch durch ihren Expartner schwerverletzt. Der ebenfalls 46 Jahre alte Mann übergoss sein Opfer am Sonntag in einer Straßenbahn mit brennbarer Flüssigkeit und steckte sie in Brand.
Weitere Meldungen diese Woche
In Berlin wurde dem Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche, die „Nummer gegen Kummer“, die Finanzierung gestrichen. Bisher wurde das Angebot, das junge Menschen bei allen möglichen Problemen, von Liebeskummer, über Zeugnissorgen bis zu Suizidgedanken berät, mit jährlich 100.000 Euro vom Senat finanziert. Die Bildungsverwaltung strich die Förderung zum kommenden Monat, das Projekt steht vor dem Aus. Etwa 10.000 anonyme Anrufe erhalten die rund 100 Ehrenamtlichen jedes Jahr, sie beraten und verweisen an lokale Unterstützungsstrukturen. (RBB)
Das Berliner Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Polizei unverhältnismäßige Gewalt gegen einen Klimaaktivisten angewendet hat. Bei einer Aktion der „Letzten Generation“ im April 2023 setzten sie Schmerzgriffe ein, um einen 21-Jährigen aus einer Straßenblockade zu entfernen. Dem Gericht zufolge seien genügend Einsatzkräfte vor Ort gewesen, um auf die brutale Gewalt zu verzichten. Der Geschädigte habe zudem keinen Widerstand geleistet. (Tagesschau) Dieses Urteil ist eine Premiere. Noch nie wurde der Einsatz von Schmerzgriffen als unverhältnismäßig bewertet. In ihrer Doktorarbeit an der Uni Regensburg kam die Staatsanwältin Dorothee Mooser zu dem Schluss: „Die Nervendrucktechniken stellen eine unzulässige Maßnahme der Polizei dar und können gegen Menschenrechte verstoßen“. (taz)
Israel hat die Waffenruhe gebrochen und diese Woche wieder Hunderte Palästinenser*innen durch Luftangriffe und Bodentruppen getötet. Eine erste Welle von Bomben tötete dem Gesundheitsministerium in Gaza zufolge allein am Dienstag mehr als 400 Menschen, darunter 183 Kinder und 94 Frauen. (Guardian) Israels Verteidigungsminister Israel Katz befahl der Armee weitere Gebiete in Gaza zu besetzen und drohte mit Annexion. (ZDF)
Unbegrenzt Kohle fürs Militär – dem stimmte heute der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit zu, darunter auch Stimmen von Die Linke. Es bleibt ein Rätsel, warum die Partei, die in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen mitregiert, für die Aufrüstung stimmte – es hätte die Stimmen nicht mal zur Mehrheit gebraucht. (ND)
In mindestens 17 Fällen wurden schwule Männer in Österreich Opfer von brutalen Hassverbrechen, die aus einem landesweit agierenden Netzwerk heraus begangen wurden. Am Freitag gab es 23 Hausdurchsuchungen in mehreren Bundesländern. Zwölf Männer und drei Frauen im Alter von 14 bis 26 Jahren wurden festgenommen. Laut Polizei wurden neben Waffen auch NS-Devotionalien gefunden. Die mutmaßlichen Täter*innen stehen offenbar in Verbindung zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“. (Der Standard)
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