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"Add Colour (Refugee Boat)" ist ein Kunstwerk von Yoko Ono, das derzeit im Berliner Gropiusbau zu sehen ist. Besucher*innen gestalten den Raum mit blauen Stiften. (Foto von mir)

Deutscher Cirque du Soleil

Deutschland unterstützt Israel weiterhin bei dessen Vernichtungsfeldzug, die AfD wird gestört, aber entgegengesetzt wird ihr weiterhin nicht viel und trans Athletinnen wird die Teilnahme an Olympia 2028 verboten. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW30

Am vergangenen Sonntag (20. Juli) lud die ARD die Chefin der rechtsextremen AfD, Alice Weidel, zum „Sommerinterview“ auf eine Terrasse des Bundestags, um bei lauem Wetter ein seichtes Gespräch zu führen. Gegen diese Normalisierung faschistischer Positionen im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gab es berechtigten Widerstand: Das Kunst-/Protest-Kollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS), die „Omas gegen Rechts“ und andere fanden sich am gegenüberliegenden Spreeufer ein, um die TV-Aufzeichnung lautstark zu stören. Die Krachkundgebung funktionierte, mehrfach beklagten Weidel und auch Moderator Markus Preiß den Lärm. Die Aktion kam den Medien gerade recht; bot sie doch eine willkommene Abwechslung, um trotz „Sommerloch“, nicht zum Beispiel über Israels Genozid berichten zu müssen. So schrieben die einen von einer „Krakeelerei“, die „der Partei eine Vorlage“ liefere (FAZ) die anderen von „angemessen lautstarken Widerstand“ (taz) und das ZPS feierte sich wie immer vor allem selbst: der „Fernsehmoment des Jahres“ sei das gewesen sagte ZPS-Chef Philipp Ruch im Podcast vom stellvertretenden Chefredakteur der BILD, Paul Ronzheimer. Mir stellt sich weniger die Frage, ob es legitim ist, Nazis beim Verbreiten ihrer Propaganda zu stören (natürlich ist es das), sondern welche Ideen der bürgerliche Antifaschismus hat, die über „Scheiß AfD“-Gesänge hinausgehen. Wenn die Mieten und Lebensmittelpreise steigen, das Gesundheitssystem zusammenbricht, die soziale Infrastruktur erodiert, der Bildungs- und Kulturbereich auf ein Minimum gekürzt wird, während das Land kriegstüchtig gemacht wird, statt es auf die zunehmende Klimakrise vorzubereiten – dann reicht es einfach nicht, immer wieder zu betonen, dass die AfD die falschen Antworten darauf hat. „Nazis sind doof“ ist keine politische Praxis! Dieser Staat befindet sich gerade mitten im autoritären Umbau, Reiche werden immer reicher und den Preis zahlen die Armen und zukünftige Generationen. Eine politische Linke, der nichts Besseres einfällt, als den kapitalistischen Nationalstaat gegen rechts zu verteidigen, ist zum Scheitern verurteilt.

Am Montag (21. Juli) hat das Nationale Olympische und Paralympische Komitee der USA (USOPC) trans Frauen de facto die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles verboten. Der Verband passte die „Athlet*innen-Sicherheits-Richtlinie“ an das von Donald Trump im Februar erlassene Dekret mit dem Titel „Keeping Men Out of Women’s Sports“ an. „Als staatlich anerkannte Organisation sind wir verpflichtet, die Erwartungen der Regierung zu erfüllen“, erklärten die Geschäftsführerin und der Präsident des USOPC in einem Schreiben. Die Präsidentin des National Women’s Law Center, Fatima Goss Graves, verurteilte die Entscheidung: „Indem es politischen Forderungen nachgibt, opfert das USOPC die Rechte und die Sicherheit seiner eigenen Sportler*innen“. Die Debatte um trans Athlet*innen bei Olympia zeigt eindrücklich, wie transfeindliche Hetze in ihrem Kern funktioniert: Es wird viel über die vermeintliche Bedrohung der Fairness im Allgemeinen und der am Wettkampf teilnehmenden Sportlerinnen im Besonderen gesprochen und dabei vollkommen an der Realität vorbeigeredet. Trans weibliche Athletinnen sind eine absolute Minderheit und es kann nicht mal ansatzweise die Rede davon sein, dass sie die Wettkämpfe dominieren würden. Seit 2004 ist es trans Frauen prinzipiell gestattet, an olympischen Wettkämpfen teilzunehmen. In den über 20 Jahren seit dem haben es nur ganz wenige trans Personen überhaupt geschafft, sich für die olympischen Spiele zu qualifizieren. Die erste geoutete trans Frau bei Olympia war die Gewichtheberin Laurel Hubbard, die 2021 nach drei Fehlversuchen im ersten Wettkampf Letzte wurde. 2024 trat die trans Italienerin Valentina Petrillo bei den Paralympics an. Die sehbehinderte Läuferin schaffte es nicht ins Finale. Bereits 2016 war die niederländische Diskuswerferin, Ingrid van Kranen, bei den paralympischen Spielen in Rio angetreten und wurde neunte. Kaum jemand erinnert sich an die erste trans Athletin bei den Paralympics, auch, weil es 2016 kaum skandalisiert wurde. Heute, mitten im Sturm des globalen Anti-Trans-Kulturkampfs, ist das unvorstellbar.

Am Montag (21. Juli) teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit, vom israelischen Militär angegriffen worden zu sein. Das Hauptlager in der Stadt Deir al-Balah sei zerstört worden, ein Gebäude, in dem WHO-Mitarbeiter*innen und ihre Familien untergebracht waren, wurde von Soldat*innen gestürmt. Frauen und Kinder wurden gezwungen zu Fuß in Richtung des Flüchtlingslagers Al-Mawasi zu fliehen, noch während die Kampfhandlungen andauerten. „Männliche Mitarbeiter und Familienangehörige wurden mit Handschellen gefesselt, ausgezogen, vor Ort verhört und mit vorgehaltener Waffe durchsucht“, berichtet die WHO in einem Statement. Vier Personen seien verhaftet worden, von denen nur drei wieder freigelassen worden seien. „Da 88 % des Gazastreifens nun unter Evakuierungsbefehl stehen oder sich in von Israel militarisierten Zonen befinden, gibt es keinen sicheren Ort, an den man sich begeben kann“, heißt es weiter. Die WHO sei „entsetzt über die gefährlichen Bedingungen, unter denen humanitäre Helfer*innen und Gesundheitspersonal arbeiten müssen“. Immer wieder würden „rote Linien überschritten“. UN-Generalsekretär António Guterres erklärte: „Die letzten Lebensadern, die die Menschen am Leben halten, brechen zusammen“. Zu Israels Vorgehen sagte er: „Am Wochenende kam es in Gaza zu weiteren Massenerschießungen und Tötungen von Menschen, die UN-Hilfe für ihre Familien suchten – eine grausame und unmenschliche Tat, die ich aufs Schärfste verurteile.“ Laut UN-Angaben vom Dienstag (22. Juli) wurden seit Ende März über 1.000 Menschen beim Versuch Lebensmittel von Verteilerzentren zu bekommen, von IDF-Soldat*innen getötet. Für die deutsche Bundesregierung alles kein Grund, Israel die uneingeschränkte Unterstützung zu entziehen. Während die Außenminister*innen von 30 Staaten, darunter Frankreich, Spanien, Großbritannien und Australien, ein gemeinsames Statement veröffentlichten, in dem Sie das sofortige Ende des Krieges fordern und an die israelische Regierung appellieren, die „Beschränkungen für den Hilfsgütertransport unverzüglich aufzuheben“, steht Deutschland weiter unverbrüchlich an der Seite Netanyahus und seiner rechtsextremen Gefolgschaft. Keine Einschränkungen in den Waffenlieferungen, keine Sanktionen, lediglich ein paar leere Worte gibt es von Merz und Wadephul. Genozid-Unterstützung bleibt deutsche Staatsräson.

In einem Kommentar für die Tagesschau, der am Donnerstag (24. Juli) veröffentlicht wurde, schreibt Georg Schwarte aus dem ARD-Hauptstadtstudio, die „Die Hamas-Schlächter“ seien „Ausgangspunkt und Ursache für all das, was die Welt seither in Gaza erleben muss“. Moment, was? Nicht nur wird hier verschwiegen, dass es Israel ist, das tagtäglich Kriegsverbrechen und Verstöße gegen das Völkerrecht begeht, es wird auch komplett unsichtbar gemacht, wer das Opfer ist. Nicht „die Welt“ muss das „in Gaza erleben“ – die Palästinenser*innen sind es, die getötet, verletzt, vertrieben – vernichtet – werden. Eine derartige Verdrehungskunst ist selbst im Cirque du Soleil nicht zu erwarten. Auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck macht mit bei der Realität-Verdrehung. Er wird es den Palästinenser*innen nie verzeihen, was Israel ihnen antut. Mit tränenerstickter Stimme bekundet er bei Markus Lanz, dass er sich die „Kritik an der israelischen Politik“ „rauspressen“ müsse. Das völkerrechtswidrige Vorgehen des Landes, dem er „sich so verbunden fühlt“, verharmlost er, wenn er es nicht etwa als planvolles Handeln bezeichnet, sondern schlicht behauptet, Israel sei „auf Abwege“ geraten. Es sei eine „tiefe Traurigkeit“ in ihm – nicht etwa um die Opfer, sondern um das illusorische Israel-Bild, dass er sich über Jahrzehnte zurechtgelegt hat. Der selbsternannte „Philosemit“ stellt klar „Es ist für mich kein Genozid“. Nunja, Genozidforscher*innen sehen das anders.

Weitere Meldungen

Schon bei der Einführung der sogenannten Bezahlkarte hatten es viele vorausgesagt, jetzt macht Hamburg den ersten Schritt: Die unwürdige Maßnahme soll zukünftig nicht auf Geflüchtete beschränkt sein, sondern auf Bezieher*innen anderer Sozialleistungen ausgeweitet werden. Es sei ein entsprechendes „Vorprojekt“ in Hamburgs Finanz- und Sozialbehörden in Planung. Carola Ensslen von der Linksfraktion in Hamburgs Bürgerschaft prophezeit: „Und es wird nicht bei der Ausdehnung auf die Altersgrundsicherung und Sozialhilfe bleiben (…) Diese Schikanemaßnahme ‚Bezahlkarte‘ muss abgeschafft statt auf andere Personengruppen ausgedehnt werden“. In Hamburg dürfen geflüchtete Menschen maximal 50 Euro Bargeld im Monat abheben.

Am Montag (21. Juli) kam es in Magdeburg auf einem Parkplatz zu einem rassistischen Angriff, bei dem ein dreijähriges Kind aus Syrien verletzt wurde. Der mutmaßliche Täter, ein 61-Jähriger, der „bereits häufiger durch rechtsextreme Zwischenfälle“ aufgefallen sei, beleidigte zunächst mehrere Familien rassistisch und fuhr anschließend das Kind mit dem Auto an. Die Polizei ermittelt und kann eine „politische Motivation“ nicht „ausschließen“.

Die aus dem Irak stammende, êzidische Familie Qasim überlebte den Genozid an ihrer Volksgruppe durch den „Islamischen Staat“ und floh 2022 nach Deutschland. Doch ihr Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Die Familie kämpfte um ihr Recht auf Schutz, doch Brandenburg nennt sie „Wirtschaftsflüchtlinge“. Montagnacht stürmte die Polizei ihre Wohnung in Lychen und holte die Eltern und die vier minderjährigen Kinder im Alter von 5, 12, 15 und 17 Jahren ab. Am Dienstagmorgen wurden sie mit dem Flugzeug in den Irak deportiert. Ihre Anwältin hatte noch versucht, die Abschiebung zu stoppen, dem Eilantrag wurde sogar recht gegeben, doch er kam zu spät. Der Flüchtlingsrat Brandenburg kritisiert die „von Rechts getriebenen Abschiebe-Agenda“ von Bund und Ländern und fordert die sofortige Wiedereinreise. Insgesamt wurden am Dienstag (22. Juli) 43 Menschen in den Irak abgeschoben. Die Behörden verbreiten zunächst die Lüge, es hätte sich bei den Deportierten ausschließlich um „alleinstehende Männer“ gehandelt. Auf Instagram feierte die CDU Thüringen, deren Justizministerin für die Abschiebung verantwortlich war, mit einem zynischen Post: „Wir setzen den Kurswechsel in der Migrationspolitik konsequent um.“

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