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Achtung Girls Club

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Taylor Swift hat ein neues Album veröffentlicht und im Internet diskutieren Menschen darüber, ob sich die Sängerin zum stattfindenden Genozid in Gaza äußern muss oder zu den Massendeportationen im eigenen Land. Die „Swifties“ scheinen gespalten: Die einen sind enttäuscht, dass ihre „Taytay“ seit deren vage gehaltenen Positionierung 2020 nur selten eine politische Haltung zeigt, die anderen verweisen in gewohnter Manier auf Codes und Easter Eggs, mit denen die Sängerin ihre Position doch nun ausreichend dargelegt hätte.

„Moment“, fragt ihr euch vielleicht, „wird das etwa ein Newsletter über Taylor Swift?“ Nein, keine Sorge, ich komme gleich zum eigentlichen Thema. Habt noch ein bisschen Geduld und bleibt dran. Ich werde nicht darüber schreiben, inwiefern Taylor Swift ihre Marke am Fähnchen im Wind der Dominanzgesellschaft ausrichtet, der nun eben aus der MAGA-Richtung weht. Vorbei die Zeit, in der man mit queer-coded Content mehrheitsfähig oder „Diversity“ ein relevanter Marktfaktor war. Jetzt sind white supremacy und Heteronormativität im Trend (nicht, dass sie jemals wirklich out waren) und Taylor Swift füttert die Maschine mit Verlobungsfotos mit ihrem MAGA-nahen Boyfriend und lyrischen Shout-Outs an ihre politisch-inkorrekten Girlboss-Freundinnen („Cancelled“). Ihre all-american-girl (d.h. white-girl) Ästhetik ist ohnehin nie aus der Mode gekommen.

Darüber will ich nicht schreiben, Taylor Swift interessiert mich eigentlich gar nicht besonders. Aber ihr Beispiel dient als Illustration eines Phänomens, das ich in letzter Zeit häufiger beobachte: der reflexhafte Misogynievorwurf, sobald eine privilegierte Frau kritisiert wird. Wir haben das bei J.K. Rowling gesehen, bei Annalena Baerbock und auch bei Caroline Wahl. Kritiker*innen seien von Frauenhass getrieben; genauer gesagt von internalisierter Misogynie. Denn insbesondere weiblichen Kritikerinnen wird ihre Kritik vorgeworfen: Sie seien kein „Girls Girl“, sie verrieten die feministische Sache, Frauen müssten doch zusammenhalten in einer patriarchalen Welt.

Das finde ich interessant; denn hier wird es komplex.

Richtig ist: An Frauen wird ein anderes Maß angelegt, das trifft fast immer zu. Ob es um die alleinerziehende „Working Mum“ geht (Menschen fragen, ob sie ihrem Kind gerecht werden kann, während der alleinerziehende Vater überwiegend Bewunderung erhält – so toll wie er das macht!) oder um milliardenschwere Superstars. Frauen stehen meist mehr in der Kritik, dürfen sich weniger Fehler erlauben, müssen höheren (moralischen) Standards genügen.

Richtig ist auch: Kunst von Frauen wird in der Regel geringer geschätzt als die von Männern. Das lässt sich historisch belegen, aber zeigt sich auch heute noch. Von den 196,6 Milliarden Dollar, die zwischen 2008 und 2019 auf Kunstauktionen ausgegeben wurden, entfielen laut Forbes nur 4 Milliarden Dollar oder rund 2 % des Gesamtumsatzes auf Werke von Frauen.

In der Musikindustrie sieht es nicht besser aus. Universal Music UK meldete 2024 einen Gender Pay Gap von 27,5 Prozent. Und auf der Liste der bestbezahlten Musiker*innen von 1987 bis 2022 stehen nur drei Frauen: Madonna (2005, 2009, 2013), Taylor Swift (2016, 2019) und Katy Perry (2015). In der Liste der bestbezahlten Bands ist überhaupt keine Frau dabei.

Musik von Frauen gilt vielen immer noch als „Mädchenmusik“, als entweder zu nischig oder zu Mainstream. Weibliche Künstlerinnen sind keine „Genies“. Das gleiche gilt für ihre Fans: weiblich dominierte Fanszenen (bspw. Boygroups, K-Pop oder eben Swifties) werden belächelt, gelten als peinlich oder gar gestört. Eine überwiegend männliche Fanszene (Oasis, Gaming oder auch Fußball) gilt hingegen schnell als ernstzunehmendes Kulturphänomen.

Keine Frage: Der mediale Umgang mit den „Swifties“ ist von Misogynie geprägt und auch die Rezeption von Taylor Swifts Kunst ist nicht frei davon. Das bedeutet aber nicht, dass man Swift oder andere erfolgreiche Frauen nicht kritisieren darf (kritisieren muss, wenn ihr mich fragt). Denn genauso wenig wie bei der Bewertung ihres Verhaltens eine Rolle spielen sollte, dass sie eine Frau ist, sollte diese Tatsache als Schutzschild gegen Kritik dienen.

Es ist nicht misogyn, wenn Menschen bemerken, dass Taylor Swift auf ihrem neuesten Album mehrfach gegen Schwarze Frauen schießt. Es ist nicht misogyn zu sagen, dass Caroline Wahls öffentlich zur Schau gestellte Enttäuschung über die Nicht-Nominierung zum Deutschen Buchpreis anmaßend und unangenehm war. Es ist nicht misogyn, wenn gefordert wird, dass J.K. Rowling für ihre Transfeindlichkeit boykottiert wird. Und es ist auch nicht misogyn, wenn Annalena Baerbock für ihre Zustimmung zu Rüstungsdeals mit Saudi-Arabien kritisiert wird.

„Najaaaa“, denken jetzt einige, „misogyn wird es eben da, wo Männer für vergleichbares Verhalten nicht vergleichbare Reaktionen erhalten“. Und hier könnte jetzt das muntere Aufrechnen beginnen: auch männliche Künstler werden für ihre Songtexte kritisiert, auch der Auftritt von Clemens Meyer nach Nicht-Erhalt des Deutschen Buchpreis wurde als anmaßend und peinlich bezeichnet. Auch für die Werke von Roald Dahl gibt es Boykottaufrufe wegen des Antisemitismus des Autors und auch Robert Habeck wurde wegen seiner militärischen Großmachtsfantasien als Kriegstreiber bezeichnet.

Der „Misogynie!“-Vorwurf kommt verlässlich dann, wenn die Kritisierte eine erfolgreiche Frau ist, der es in allererster Linie um sich selbst geht. Geäußert von anderen Frauen, die vielleicht weniger erfolgreich, hinsichtlich ihrer Positionierung im globalen Machtgefüge aber doch mindestens ähnlich positioniert sind. Vereinfacht gesprochen: weiße cis Frauen schützen andere weiße cis Frauen vor Kritik. „Girls support Girls“ ist in den allermeisten Fällen ein exklusiver Kreis, zu dem mehrfach marginalisierte Personen gar keinen Zugang erhalten. Am Ende machen die selbsternannten „Girl’s Girls“ das nach, was bei Männern schon lange unter dem Begriff „Boys Club“ zusammengefasst wird: sie schaffen ein informelles System, in dem sie sich untereinander mit ihresgleichen verbünden und so dafür sorgen, dass sie ihre Machtpositionen behalten.

Denn ja: weiße Frauen sind mächtig. Jedenfalls die, die cis, hetero, nicht arm sind und deren Körper sich innerhalb der „Norm“ bewegt. Die einzige gesellschaftliche Gruppe, über die sie keine pauschale Macht haben, sind ihre männlichen Counterparts: weiße cis hetero Männer, die nicht arm sind und ohne Behinderung. Privilegierte weiße Frauen wissen das und sie wissen auch, dass ein Pfeiler ihrer Macht darin besteht, genau diese Macht immer und immer wieder zu verleugnen, sich selbst als Unterdrückte zu inszenieren, einzig die Achse „Geschlecht“ zu betrachten und alle anderen Dimensionen der Unterdrückung auszublenden.

Der Tropus der zarten, weißen Frau als Inbegriff von Unschuld, ist ein Jahrhunderte altes Element des Rassismus, das massiven Schaden angerichtet hat und bis heute anrichtet. „Die Tränen weißer Frauen waren im Laufe der Geschichte für die Zerstörung vieler schwarzer Gemeinden in den USA und für die Lynchmorde an zahllosen schwarzen Männern verantwortlich“, so die Autorin Regina Jackson.

Historiker*innen beschäftigen sich schon länger mit der Rolle weißer Frauen im Nationalsozialismus. „Frauen wussten, billigten und unterstützten Verbrechen gegen die Menschlichkeit – freiwillig: Im Schatten der Einsatztruppen tippten sie Berichte über Massenexekutionen, lenkten mordende Männer mit Hilfe von Alkohol und Späßen von ihrem ‚Geschäft‘ ab, bei der Gestapo protokollierten sie Folterverhöre, als Ärztinnen beteiligten sie sich an Menschenversuchen und wirkten aktiv an der Euthanasie mit“, fasste es die Süddeutsche Zeitung 2010 zusammen. Das Schutzschild der Unschuld sorgte nach Kriegsende dafür, dass sich nur wenige Frauen für ihre Beteiligung an den Nazi-Verbrechen verantworten mussten.

Menschen können beides sein: Täter*in und Opfer, Unterdrückende und Unterdrückte. Weiße Frauen müssen Verantwortung übernehmen und ihre Position im globalen Machtgefälle reflektieren. Dazu gehört, die eigene privilegierte Position anzuerkennen. Denn auch wenn sie schlechter bezahlt werden als weiße Männer; sie werden immer noch besser bezahlt als Schwarze Frauen.

„Neben weißen cis Männern sind also weiße cis Frauen die privilegiertesten Menschen auf diesem Planeten“, schreibt Cat Harsis in „Medium“ und fordert „das Verhalten weißer cis Frauen als Klasse“ genauer zu betrachten. Angesichts des Aufstiegs des Faschismus (nicht nur in den USA!) müssen wir uns mit der Rolle weißer cis Frauen darin beschäftigen, die – häufig an der Seite ihrer noch mächtigeren Ehemänner – die „konservative Wende“ vorantreiben und von der Ausgrenzung und Abwertung mehrfach marginalisierter Menschen profitieren. Cat Harsis fasst das Handeln weißer cis Frauen so zusammen: „Alles in allem haben sie als Klasse kein Interesse daran, das System zu Fall zu bringen, sie wollen nur ihren Platz darin verbessern.“


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Ulla