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Foto: Dominik Türk, cc, via Pexels

Gesichter des Grauens

Friedrich Merz präsentiert sein Gruselkabinett, die weltweiten Militärausgaben sind so hoch wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr und die SPD verrät erneut die Arbeiterklasse. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW18

Die weltweiten Militärausgaben sind letztes Jahr extrem gestiegen, das zeigt ein Bericht des Friedensforschungsinstituts SIPRI, der am Montag (28. April) veröffentlicht wurde. Mehr als 2,7 Billionen US-Dollar (2.718.000.000.000.000 $) gaben die Staaten für Rüstung aus, 9,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Der höchste Anstieg seit Ende des Kalten Krieges. „Seit Jahren steigen die Militärausgaben, vor allem seit dem Krieg in der Ukraine. Doch der jetzige Sprung ist bei weitem der größte und spiegelt die verschlechterte Sicherheitslage weltweit wider“, erklärt Lopes da Silva, Leitender Forscher bei SIPRI. Es spiegelt aber auch wider, dass die Staaten auf militärische Eskalation setzen, denn wer in Rüstung investiert, will sie auch einsetzen. Ein militärisch hochgerüsteter Staat wird die Investitionen gegenüber den Steuerzahler*innen legitimieren müssen. Was folgt ist eine Normalisierung von Gewalt als Mittel der Politik, Diplomatie rückt weiter in den Hintergrund. Denn ein Staat, der Rüstung priorisiert, schafft sich nicht nur die militärischen Möglichkeiten, sondern auch die politische Motivation, diese Möglichkeiten zu nutzen. Rüstung ist nie ein neutraler Akt, sondern die aktive Weichenstellung hin zur Kriegslogik. Es feiert die Rüstungsindustrie. „Eine Epoche der Aufrüstung in Europa hat begonnen“, freute sich Rheinmetall-Boss Armin Papperger bei der Präsentation der fantastischen Renditen von 2024. Die Militarisierung bringe dem Konzern „für die kommenden Jahre (…) Wachstumsperspektiven, wie wir sie noch nie erlebt haben“.

Für gut gefüllte Kassen der Rüstungskonzerne wird die neue Bundesregierung mit Sicherheit sorgen. Als Anfang der Woche Friedrich Merz sein Kabinett bekannt gab bekam das diffuse Grauen, das seit der Wahl besteht, 13 Gesichter. Wo soll ich da anfangen?! Die auf den ersten Blick offensichtlichste Vollkatastrophe ist Alexander Dobrindt. Der CSUler steht der sogenannten Neuen Rechten nah, forderte mehrfach ein Verbot der Linkspartei und eine „konservative Revolution“ für Deutschland, lehnt die Gleichstellung homosexueller Paare ab und befand kürzlich Donald Trumps Art, Politik zu machen, als vorbildlich. Mit Alexander Dobrindt als Innenminister ist ein Repressionslevel zu erwarten, das alles in den Schatten stellt, was wir seit den Notstandsgesetzen 1968 erfahren haben. Dobrindt ist ein rassistischer Hetzer, dem Grundrechte nichts wert sind. Er wird die Abschaffung des Asylrechts weiter vorantreiben und Berufsverbote für Linke ausweiten. Dobrindt, der forderte, arbeitslose Geflüchtete in die Ukraine abzuschieben fantasierte über eine „Anti-Abschiebe-Industrie“, die angeblich den Rechtsstaat „sabotieren“ würde, in dem sie Menschen in ihren Asylverfahren unterstützte. Alexander Dobrindt ist nicht nur der Feind aller, die sich als antifaschistisch und antirassistisch verstehen, er ist vor allem auch der Freund der Autoindustrie, die er u.a. während des VW-Abgasskandals deckte und unterstützte, und himmelschreiend inkompetent. Gleich zwei Untersuchungsausschüsse beschäftigten sich direkt mit dem politischen Handeln Alexander Dobrindts (Abgas und Maut). Apropos Inkompetenz: Karsten Wildberger wird künftig das neu geschaffene „Ressort für Digitalisierung und Staatsmodernisierung“ führen, also so eine Art deutsches „DOGE-Ministerium“ im Stile dessen Elon Musks. Wildberger hat keinerlei politische Erfahrung, er ist gerade noch Vorstandsvorsitzender des MediaMarkt/Saturn-Konzerns mit einem Jahresgehalt von 2,8 Millionen Euro. Ein superreicher Manager, dem Deutschland unter anderem die „Geiz ist geil“-Kampagne zu verdanken hat, soll nun Verwaltungsprozesse auf Basis der Demokratie gestalten. Er ist nicht der einzige Lobbyist in der neuen Bundesregierung. Auch das Ministerin für Wirtschaft und Energie wird von einer Unternehmensvertreterin geführt werden. Katherina Reiche, Vorstandsvorsitzenden des Energieversorgers Westenergie, eine Tochterfirma des E.ON-Konzerns, war vor zehn Jahren bereits für die CDU im Bundestag, damals als Parlamentarische Staatssekretärin im Umwelt- und später im Verkehrsministerium. Die Lebensgefährtin von Karl-Theodor zu Guttenberg ist außerdem eine glühende Antifeministin, die sich immer wieder gegen die Rechte von Schwulen und Lesben ausgesprochen hat. Die Gleichstellung queerer Paare nannte sie einen „Angriff auf Ehe und Familie“. Sie stellt klar: „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ 2015 verließ sie den Bundestag und zog sie eine Karriere als Lobbyistin vor. Laut der NGO LobbyControl drohen „massive Interessenkonflikte“. Auch der künftige Agrarminister, Alois Rainer von der CSU, kommt mit wirtschaftlicher Agenda ins Amt. Der Metzgermeister will sich für mehr Fleisch in Kitas und Schulen einsetzen. Dass insbesondere auch auf queere Menschen düstere Zeiten zukommen, stand bereits am Wahlabend fest. Mit der Ernennung von Karin Prien zur Bundesfamilienministerin wurde es aber direkt noch mal dunkler. Sie will, dass Schluss ist mit dem Gerede über „Minderheitenrechte“. „Wir sollten uns mehr besinnen auf Universalität der Menschenrechte und aufhören mit dem Aufspalten von Minderheiten und Minderheitenrechten“, erklärte sie. Auch Emanzipationsfragen seien inzwischen überholt, so die künftige Frauenministerin. Klingt ganz nach „Wir sind doch längst gleichberechtigt“. Statt auf Feminismus setzt Prien auf Patriotismus: „Wer die Rechte der Frauen schützen will, der muss eben die liberale Demokratie und die Grund- und Menschenrechte schützen.“ Da ist der Rassismus natürlich nicht weit: „Wir wollen nicht, dass kleine Mädchen schon früh verheiratet werden, und wir erwarten von Religionsgemeinschaften in unserem Land, dass sie sich ganz klar zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bekennen.“ Nachdem die Koalition entschied, das Bildungsministerium zu zerschlagen, wird Prien nun für das Thema zuständig sein. Das BMFSFJ soll eine Art „Gesellschaftsministerium“ werden, also für alle „weichen“ Themen zuständig sein (Familie und das ganze Gedöns“, wie es Gerhard Schröder damals nannte). Als Bildungsministerin in Schleswig-Holstein setzte sich Karin Prien als eine der ersten für ein „Genderverbot“ an Schulen ein. Ideologisch versteht sich Prien wahrscheinlich gut mit dem designierten Kulturstaatsminister. Wolfram Weimer soll der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien werden, ein rechtskonservativer Publizist, der in seinem Buch „Das Konservative Manifest“ über den „zivilisatorischen Untergang Europas“ durch „biologische Selbstaufgabe“ fantasierte. Klingt stark nach der rechtsextremen Theorie des großen Austauschs, in bildungsbürgerlichem Ton eben: „Während Generation um Generation in einer Jahrtausende währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der Zivilisation als einen heiligen Moment des Lebens begriffen hat, so zerbricht dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben“, formuliert Weimer, was Nazis einfach als das „Aussterben der weißen Rasse“ nennen. Als Gegenmittel hat Weimer die „Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit“ formuliert, u. a. „Nation ehren“, „Tradition hegen“, „Recht und Ordnung respektieren“ und „Gott achten“. Weimer ist ein Rassist, der über die „Multi-Kulti-Lüge“ schwadroniert: „Man glaubte, mit vielen Döner-Buden, fleißiger Zuwanderung und der Huldigung von Kanak-Deutsch die alten Nationalinstinkte auszutilgen, die Nazi-Katastrophe sozusagen mental rück-abzuwickeln. Ein Stück Wiedergutmachung durch kulturelle Selbstvernichtung also.“ Wem es angesichts dieser Worte nicht eiskalt wird, der glaubt auch, die AfD sei eine Partei der Mitte. Die Petition gegen die Ernennung Weimers haben inzwischen (Stand 2. Mai 13:38 Uhr) 62.831 Menschen unterzeichnet. Das wird Friedrich Merz kaum jucken. Die Gesinnung seines Golf-Partners wird ihm kaum verborgen geblieben sein, die beiden Millionäre verbringen gern Zeit zusammen am Tegernsee.

Am Mittwoch (30. April) stimmten dann auch 85 Prozent der SPD-Mitglieder für die Koalition mit der CDU/CSU. Die „Sozial“demokrat*innen sind also bereit für „einen echten Richtungswechsel“ (Markus Söder), für die Abschaffung des Asylrechts, für die Aushöhlung des Sozialstaats, für die „Kriegstauglichkeit“, für staatlichen Antifeminismus, für die konservative Wende und das Ende der Kunstfreiheit, sie sind bereit für die kommende Entrechtung der Arbeitnehmer*innen. Ich hoffe, die SPDler*innen haben dafür bei den 1.Mai-Kundgebung bundesweit verbal richtig auf die Fresse gekriegt.

Weitere Meldungen diese Woche

Die Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das entschied am Dienstag (29. April) ein Gericht in Flensburg, das den Fall von vier Yuppies verhandelte, die in einer Nobel-Bar auf Sylt die rassistische Zeile mehrfach gegrölt hatten. Das Verfahren wurde eingestellt, nur einer der vier, der auch den Hitlergruß zeigte, wurde verwarnt, Anklage wurde nicht erhoben.

Der Paritätische legte seinen aktuellen Armutsbericht vor. Quintessenz: Die Armen in Deutschland werden immer ärmer. 2024 waren dem Bericht zufolge rund 13 Millionen Menschen in Deutschland armutsbetroffen, etwa 15,5 Prozent der Bevölkerung. 5,2 Millionen Menschen, darunter 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche leben „mit erheblicher materieller Entbehrung“. Alleinerziehende, junge Erwachsene und Rentner*innen seien besonders betroffen, „wobei die Altersarmut stark weiblich geprägt ist“.

Die USA haben am Montag ein Flüchtlingslager im Jemen bombardiert und mindestens 68 Menschen getötet. Die meisten Toten sollen aus Äthiopien und Somalia stammen. 115 Geflüchtete waren in dem Lager untergebracht. Es befanden sich keine militärischen Einrichtungen in der Nähe. Seit Beginn der Angriffe am 15. März hat das US-Militär mehr als 800 Ziele bombardiert, angeblich in Reaktion auf wiederholte Attacken der Huthi-Rebellen auf internationale Frachtschiffe im Roten Meer in Folge des Gaza-Kriegs.

Die AfD wird jetzt auch vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft, so die Eilmeldung am heutigen Freitag (2.Mai). Mir ist nicht klar, was wir mit dieser Feststellung anfangen sollen. Denn erstens ist es in keine Weise überraschend – wir wussten das schon seit Jahren – und zweitens ist der Verfassungsschutz einfach keine relevante Größe für die politische Analyse. „Eine Konsequent linke und also egalitäre Position zur AfD muss sich unabhängig machen, von der Bewertung deutscher Behörden“, schrieb der Autor Olivier David heute auf Instagram: „Der Verfassungsschutz hat zum Ziel eine Verfassung zu schützen, die weite Teile der Bevölkerung unterdrückt. Diese Behörde bestimmt nicht, wie wir auf die AfD schauen. Wir brauchen eigene Kriterien, anhand derer wir bestimmen, wie und warum die AfD der Hauptfeind unserer Klasse ist.“

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