In Berlin sind vier Aktivist*innen von Deportation bedroht, die AfD ist kurz davor die Union in Umfragen zu überholen, die Grünen wollen einen „Freiheitsdienst“ und die künftige Regierung die Abschaffung der Grundsicherung. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW14
„Es ist an der Zeit, die Frage zu stellen: Was kannst du für dein Land tun?“ – also meine Antwort wäre simpel: Antifaschismus, Klimaschutz und die Überwindung von Patriarchat, Kapitalismus und aller rassistischer Strukturen. Das meinte die Fragende allerdings gar nicht. Vielmehr ging es Katharina Schulze, Fraktionschefin der bayerischen Grünen, um den Dienst am Volke oder wie sie es nennt einen „Freiheitsdienst“. Der am Montag (31. März) veröffentlichte Vorschlag soll dazu führen, dass die Deutschen „als Gesellschaft robuster werden“. Dafür sollen alle Menschen im Alter zwischen 18 und 67 einer Musterung unterzogen werden und anschließend mindestens ein halbes Jahr lang „freiwillig“ arbeiten – im sozialen Bereich, in der Jugendarbeit, dem Breitensport, bei Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, im Rettungsdienst, im Katastrophenschutz oder eben beim Militär. „Freiheitsdienst“ klingt natürlich viel netter als „Wehrdienst“ und passt somit besser ins Konzept der Liberalogrünen. Ganz ohne martialisches Framing geht es aber dann doch nicht: „Der Freiheitsdienst ist viel mehr als der alte Wehrdienst, er zielt auf eine Gesamtverteidigung mit gesellschaftlicher Widerstandskraft“, erklärt der innenpolitische Sprecher der Bayern-Grünen und nutzt mit „zielen“, „Verteidigung“ und „Widerstandskraft“ militärische Vokabeln, die in Zeiten der allgemeinen Aufrüstung besonders angesagt sind. Die Bedrohungen nähmen zu, deshalb müsse die „Verteidigungsbereitschaft“ Deutschlands gesichert werden. Der Grüne Vorstoß kommt nicht von ungefähr: Gerade diskutieren CDU/CSU und SPD über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die Union will, dass „die Aussetzung der Wehrpflicht beendet“ werde, es sei ein „konsequenter und rascher Aufwuchs unserer Streitkräfte notwendig“. Die Sozialdemokrat*innen setzen noch auf Freiwilligkeit. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) ist für einen Mittelweg und schlägt vor „einen leichten Zwang einzubauen“, also „ein bisschen Pflicht“, aber „trotzdem mit Freiwilligkeit“.
Zwang steht auch im Mittelpunkt der geplanten Neuregelung des Bürgergelds, bzw. dessen Abschaffung. Die schwarz-rote Koalition will zurück zu Hartz IV, mit noch mehr Druck und Sanktionen bis hin zur vollständigen Streichung des Regelsatzes. Helena Steinhaus, Gründerin von „Sanktionsfrei“ nennt das Ganze in einem Artikel fürs Surplus-Magazin, der am Dienstag (1. April) erschien, ein „massives Entrechtungs- und Verelendungs-System“. Wer ein Arbeitsangebot ablehnt, dem drohen 30 Prozent Kürzung für drei Monate. „Bei einem Regelsatz von nur 556 Euro ist eine solche finanzielle Kürzung von 168,90 Euro für drei Monate kein Pappenstiel und bedeutet blanke Not“, sagt Steinhaus. Neben Zwang, Strafe und Abschreckung setzt die zukünftige Bundesregierung zukünftig auf den sogenannten „Vermittlungsvorrang“. Das bedeutet, dass Menschen in den nächstbesten Job gesteckt werden, no matter what. Weiterbildung und nachhaltige Vermittlung sind Geschichte – im neuen System profitieren vor allem Arbeitgeber, die billig Arbeitskräfte erhalten. Die Menschen bleiben arm, viele werden aufstocken müssen, während sie sich in Jobs ohne Perspektive abrackern. Recht auf freie Berufswahl? Nur noch, wenn du reich bist. Doch das ist auch noch nicht alles, die Koalitionär*innen scheinen einen richtigen Lauf gehabt zu haben in ihrem Armenhass. So sollen die Regelsätze wieder nur verzögert an die Inflation angepasst werden. Wer mit dem sogenannten Existenzminimum auskommen muss, weiß, was es bedeutet, wenn die Lebensmittelpreise steigen. Außerdem wird Arbeitslosen keine Schonfrist mehr gegönnt, was kleinere Rücklagen angeht. Bisher war es möglich, im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs bis zu 40.000 Euro Vermögen zu behalten, bevor es an die eigenen Reserven ging. Wer sich was für die Altersvorsorge oder Notlagen zur Seite gelegt hatte, musste nicht sofort alle Ersparnisse aufgeben. Künftig ist damit Schluss: Wer in den Bezug rutscht, muss erst alles Ersparte aufbrauchen, bevor es die „Neue Grundsicherung“ gibt. Insbesondere für Menschen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, hat diese Neuregelung fatale Folgen. Wenn zum Beispiel eine Frau ohne eigenes Einkommen ihren Mann verlässt, hat sie so lange kein Anspruch auf die Grundsicherung bis sie die Ersparnisse für die Zukunft ihrer Kinder aufgebraucht hat. Neue Ersparnisse aufbauen ist mit dem Regelsatz unmöglich. Ein Großteil der 5,5 Millionen Menschen in Deutschland, die Sozialleistungen beziehen, bleiben schon jetzt in diesem System, Armut lässt sich nur schwer loswerden. Dafür wird man in Deutschland schon immer bestraft, in Zukunft eben noch härter. „Vergessen ist eine Kindergrundsicherung, Respekt, Augenhöhe, Menschenwürde, Teilhabe und Chancengleichheit. All das ist scheinbar nur noch sozialromantischer Schnickschnack“, fasst es Helena Steinhaus zusammen. Und das schlimmste ist: Es interessiert einfach niemanden. Gegen die Agenda 2010 gab es damals Großdemonstrationen. Heute muss man Gesten der Solidarität mit der Lupe suchen. Armenhass ist Mainstream, Auf die, deren eigenes Einkommen nicht zum Überleben reicht, wird herabgeschaut, genauso wie auf die, die nicht arbeiten können, weil sie z.B. (psychisch) krank sind oder Kinder. (Mehr als ein Drittel der Grundsicherungsbeziehenden sind minderjährig.). 35 Prozent der Deutschen sind der Meinung, Langzeitarbeitslose würden sich auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen. Einer FORSA-Umfrage von zufolge befürwortet die Mehrheit der Deutschen die Streichung des Leistungsbezugs, wenn eine angebotene Arbeit nicht angenommen wird.
Die Entrechtung der Armen und Arbeitslosen ist kein unschöner Nebeneffekt einer konservativen Wirtschaftspolitik, es ist Klassenkampf von oben: Menschen werden gezwungen, jede Arbeit anzunehmen, Unternehmen profitieren. Statt Reiche stärker zu besteuern oder Vermögen fair zu verteilen, wird im sozialen Bereich gekürzt – das ist ökonomische Gewalt. Gleichzeitig wird der Hass auf arme Menschen immer wieder mit Kampagnen gegen angeblich „faule“ Arbeitslose angefacht, um die Solidarität zwischen denen zu brechen, die mit ihrem Einkommen gerade so über die Runden kommen und denen, die das nicht (mehr) schaffen und zum Beispiel bei der Tafel anstehen. Es wird suggeriert, jede*r könne sich Reichtum erarbeiten, wenn sich nur genug angestrengt würde, wer arm ist, hat versagt, ist faul und liegt „den Steuerzahlern“ auf der Tasche.
Der gleiche Mechanismus der Entrechtung und Entsolidarisierung greift auch, wenn es um schutzsuchende Menschen geht. Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, hat diese Woche gefordert, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen. Sommer, der von Horst „Migration ist die Mutter aller Probleme“ Seehofer zum BAMF-Chef ernannt wurde, fordert, die Politik müsse sich „aus alten Denkschemata befreien“. Man kennt’s: Grundrechte, diese blöden alten „Denkschemata“. „Wenn ausgerechnet der Leiter einer der größten Asylbehörden der Welt das Asylrecht abschaffen will, sollte er seinen Hut nehmen“, findet Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL. Sommer wolle „den Menschenrechts- und Flüchtlingsschutz auf das Niveau der 1930er Jahre zurückzuwerfen“. Der Vorschlag einer pauschalen jährlichen Asyl-Obergrenze findet Zustimmung in der CDU, die gerade versucht die SPD von Pushbacks an den Außengrenzen zu überzeugen. Applaus gibt’s natürlich auch von der AfD und anderen Rechtsextremen. Wenig überraschend nutzt Alice Weidel die Vorlage, um sich als künftiger Koalitionspartner ins Spiel zu bringen. „Nichts wird sich verbessern, solange die Brandmauer steht und die AfD nicht mitregiert“, twitterte die AfD-Chefin.
Es fehlt nicht mehr viel, bis die AfD die CDU/CSU als stärkste Kraft in Deutschland ablöst. Beim aktuellen ARD-DeutschlandTrend von Donnerstag (3. April) liegt die AfD mit 24 Prozent nur knapp hinter der Union (26 Prozent). In der Parteipräferenz der Deutschen verlor die CDU/CSU 3 Prozentpunkte gegenüber dem Vormonat, die Die AfD gewann 3 Punkte hinzu und erreicht einen neuen Höchststand. Ob die Politik irgendwann noch checkt, dass das Kopieren rechtsexradikaler Positionen diese nicht etwa schwächt, sondern sie im Gegenteil stärkt? Ich denke nicht. Bzw. glaube ich gar nicht, dass es überhaupt jemals das Ziel der Merz- und Söder-Fraktion war, die Zunahme extrem rechter Einstellungen in der Bevölkerung zu bekämpfen. Viel mehr scheint es darum zu gehen, den gesellschaftlichen Widerstand soweit abzubauen, dass einer zukünftige Koalition mit der AfD nichts mehr im Wege steht. 50 Prozent der Deutschen scheinen bereits überzeugt oder zumindest nicht abgeneigt. Der Kipppunkt ist nah.
Cooper Longbottom (27), Kasia Wlaszczyk (35), Shane O’Brien (29) und Roberta Murray (31) – vier junge Aktivist*innen, wurden aufgefordert, Deutschland innerhalb von drei Wochen zu verlassen, da sie als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ gelten. Sollten sie nicht freiwillig ausreisen, droht ihnen die Deportation. Den vier wird vorgeworfen, im vergangenen Oktober an der Besetzung eines Verwaltungsgebäudes an der Freien Universität Berlin teilgenommen zu haben, um gegen Israels Krieg gegen die Palästinenser*innen zu protestieren. Ohne Belege wird in den Abschiebebescheiden der Vorwurf einer angeblichen Hamas-Unterstützung gemacht. Die Beschuldigten sollen „nicht näher genannte antisemitische und antiisraelische Parolen gerufen haben“, schreibt das ND am Donnerstag (3. April). Zuerst berichtete „The Intercept“. Drei der Betroffenen sind EU-Bürger*innen, sie kommen aus Polen bzw. Irland. Cooper Longbottom ist eine trans Person aus den USA, die dort von den Anti-Trans-Gesetzen der Trump-Regierung bedroht ist. „Als trans Person fühlt sich die Vorstellung, in die USA zurückzukehren, im Moment wirklich beängstigend an“, sagt Longbottom zu „The Intercept“. Longbottom steht kurz vor seinem Masterabschluss an der Alice Salomon Hochschule. Auch Kasia Wlaszczyk ist trans und soll in ein Land ausgewiesen werden, in dem they seit 25 Jahren nicht mehr gelebt hat: „Wenn das durchgeht, würde mich das aus der Gemeinschaft, die ich hier aufgebaut habe, herausreißen“. Kritik kommt auch vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV): „Das Aufenthaltsrecht kann und darf kein Mittel staatlicher Repression sein, erst recht nicht gegen politischen Aktivismus“, erklärt der RAV-Vorsitzende Lukas Theune: „Das Migrationsrecht darf nicht dafür benutzt werden, nicht-deutsche Menschen zu bestrafen, wenn sie ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nutzen“. Die Abschiebebescheide wurden von der Berliner Ausländerbehörde auf Anweisung der Senatsverwaltung für Inneres verschickt. In drei von vier Schreiben wird als Begründung herangezogen, dass die Sicherheit Israels deutsche „Staatsräson“ sei. Alexander Gorski, der zwei der Betroffenen juristisch vertritt, hält die Bescheide für klar politisch motiviert, Dass der Begriff Staatsräson angeführt wird, findet er alarmierend: „Das ist ein nicht rechtlicher Begriff, der in einem rechtlichen Bescheid einfach nichts zu suchen hat.“ Die Ausländerbehörde selbst hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungen, da die rechtmäßigen Verurteilungen fehlten. Für die Innenverwaltung ist eine strafrechtliche Verurteilung keine Bedingungen, sie drängt auf die Fortsetzung des Verfahrens. „Ein entsprechendes Klageverfahren ist gegebenenfalls in Kauf zu nehmen“, heißt es. Ganz offensichtlich soll hier ein Exempel statuiert werden. „Unsere Ausweisungen sind ein politscher Akt“, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung der Betroffenen. Die Ausweisungen seien ein Versuch, die gesamte palästinasolidarische Bewegung einzuschüchtern. „Ungezügelte Polizeigewalt geht Hand in Hand mit der repressiven Anwendung von Einwanderungsgesetzen, um propalästinensische Stimmen und politische Opposition zum Schweigen zu bringen.“
Auch in dieser Woche gab es wieder mehrere Feminizide. In Wetzlar (Hessen) tötete mutmaßlich ein 32 Jahre alter Mann eine 17-Jährige. Er soll ihr auf einem Fußweg aufgelauert und sie erschossen haben. Opfer und Täter stammen beide aus de Region, in welcher Beziehung sie zueinander standen, ist derzeit noch unklar. In einem Gefängnis bei Magdeburg tötete am Donnerstag offenbar ein 37 Jahre alter Insasse seine Ehefrau. Die 35-Jährige soll allein mit dem Täter in einer Besuchszelle gewesen sein. „Begegnungen in diesen Räumen sollen der Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten dienen“, heißt es beim Tagesspiegel. Bereits am Sonntagabend (30. März) wurde eine 37 Jahre alte Frau in Herzogenrath bei Aachen mutmaßlich von einem 44-Jährigen getötet. Weitere Hintergründe sind nicht bekannt.
Weitere Meldungen diese Woche
Die israelische Regierung hat dafür gesorgt, dass der jüdische Philosoph und Autor Omri Boehm nicht bei der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora auftreten darf. Die Gedenkstätte beugte sich dem Druck und lud den Deutsch-Israeli, der Kritik an Israels Vorgehen gegen die Palästinenser*innen übt, wieder aus. Jens-Christian Wagner leitet die Buchenwald-Gedenkstätte und erklärte: „Das habe ich noch nie erlebt und ehrlich gesagt, das möchte ich auch nie wieder erleben, tatsächlich gedrängt zu werden. Einem Enkel einer Holocaust-Überlebenden das Wort zu versagen, das ist wirklich das Schlimmste, was ich in 25 Jahren Gedenkstättenarbeit erlebt habe.“ (Tagesspiegel)
Ungarn hat seinen Rücktritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof angekündigt. Kanzleramtsminister Gergely Gulyas erklärte den Rückzug, während sich der israelische Premierministers Benjamin Netanjahu zu einem Besuch in Ungarn aufhält. Gegen Netanjahu liegt ein internationaler Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen vor. (Tagesschau)
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