Queerfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus sind auf einem Höchststand, wieder erschoss die Polizei einen Menschen und die Bundesbildungsministerin ist offen für eine „Migranten Obergrenze“ in Schulklassen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW27
Und wieder hat die Polizei einen Menschen erschossen. In der Nacht zu Dienstag (1. Juli) wurde ein 18-Jähriger offenbar durch Schüsse in den Rücken getötet. Der junge Mann war vor der Polizei in einen Kleingarten verfolgt worden, wo er versuchte über einen Zaun zu springen. Zuvor soll er einen 29-Jährigen in einer Kneipe mit einem „scharfen Gegenstand“ verletzt haben, ob das tatsächlich so war, ist bislang nicht bewiesen. Erst vor wenigen Tagen hatte die Polizei in Wangen (ebenfalls Baden-Württemberg) einen 27-jährigen Asylsuchenden erschossen. Daraufhin hatte der Landesinnenminister, Thomas Strobl, erklärt: „Wer mit einem Messer einen Polizisten angreift, hat sich entschieden, nicht mehr zu leben, nicht mehr in diesem Land zu leben“, und damit indirekt eine durch die Polizei verhängte Todesstrafe gerechtfertigt. Auch im Fall des getöteten 18-Jährigen wird bereits abgewiegelt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann sagte auf einer Pressekonferenz zu den Todesschüssen: „Jeder der Polizisten angreift, das zeigt ja die Praxis, muss sich gegenwärtig sein, dass die Polizei da auch angemessen reagiert.“ Inwiefern eine Flucht vor den Cops als „Angriff“ zu verstehen ist und in welcher Situation Schüssen in den Rücken „angemessen“ sein können, führte der Grünen-Politiker nicht weiter aus. Zwei von der Polizei erschossene Menschen innerhalb einer Woche sind für ihn auch kein „unverhältnismäßiger Waffengebrauch“. Wenig überraschend: Weder in Wangen, noch in Stuttgart trugen die an den Todesschüssen beteiligten Polizist*innen eingeschaltete Bodycams.
Diese Woche kam es in Berlin zu gleich zwei Angriffen auf queere Bars. In der Nacht zu Samstag (28. Juni) wurde die Kneipe „Tipsy Bear“ im Bezirk Prenzlauer Berg von einer sieben- bis achtköpfigen Personengruppe angegriffen. Zunächst wurden im Abstand von etwa einer Stunde beide Regenbogenflaggen von der Fassade gerissen, dann habe einer der Täter einen Baseballschläger aus einem Auto geholt und sei auf die Bar und die davor stehenden Gäst*innen zugelaufen. Die Bedrohten flüchteten ins Ladeninnere, der Betreiber versperrte die Tür. Noch zwei Mal sei der Angreifer in dieser Nacht wiedergekommen. Keine 24 Stunden später, am Samstagabend, wurde der Betreiber der Schwulenbar „Romeo & Romeo“ in Schöneberg vor dem Laden angegriffen. Erst wurden er und weitere Gäste von einem 23-Jährigen beleidigt und kurz darauf mit einer Bierflasche attackiert. Der Betreiber kam mit einer Platzwunde ins Krankenhaus. Die queerfeindliche Gewalt nimmt überall zu. In Berlin meldete die Beratungsstelle Maneo im Mai einen Rekordwert gemeldeter Vorfälle im vergangenen Jahr. Im Dezember sprach auch das BKA von einem starken Anstieg queerfeindlicher Straftaten und registrierte für das Jahr 2023 1.785 Fälle. Gleichzeitig regiert in Deutschland eine Partei, deren Vorsitzender Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung brachte und am Dienstag (1. Juli) in der Debatte um das Hissen der Regenbogenfahne (auf dem Reichstagsgebäude anlässlich des Berliner CSDs) sagte, der Bundestag sei kein „Zirkuszelt“. Merz der das Coming-out von Klaus Wowereit mit den Worten „Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal“ kommentierte, macht aus seiner tiefsitzenden Queerfeindlichkeit ohnehin selten ein Geheimnis. Queeres Leben ist für ihn einfach ein „Zirkus“. Andre Lehmann vom LSVD sagte: „Ich möchte den Bundeskanzler daran erinnern, dass er von einer Verfolgtengruppe des Nationalsozialismus spricht, die auch noch in der Bundesrepublik lange Zeit unterdrückt und kriminalisiert wurde.“
Letztlich ist das ganze Gerede über Regenbogenfahnen ein großes Ablenkungsmanöver. Die Symbolik der Fahnen soll über die reale Bedrohung queerer Menschen und ihrer Rechte hinwegtäuschen. Während die Gewalt zunimmt und gleichzeitig Beratungs-, Präventions- und Schutzprojekte gekürzt werden, redet Deutschland darüber, ob Bundestagsabgeordnete zum CSD gehen sollten oder nicht. Geschlechtliche Vielfalt wird aus der frühkindlichen und schulischen Bildung verbannt, die AfD fordert, die Förderung der Gender Studies einzustellen und die Regierungskoalition will das Selbstbestimmungsgesetz „evaluieren“. International verlieren trans Frauen den Zugang zu sportlichem Wettkampf und Kinder und Jugendliche den Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Regenbogenflagge verkommt währenddessen zunehmend zum Symbol des „Pinkwashings“, wenn Armeen von Bundeswehr bis IDF Militarismus und Kriegsverbrechen damit kaschieren. Pride-Fahnen auf den Dächern oder vor Ministerien ändern nichts daran, dass viele queere Menschen (insbesondere wenn sie trans und/oder nicht weiß sind) überproportional von Armut, Obdachlosigkeit oder Arbeitslosigkeit betroffen sind. Wer Sozialleistungen kürzt, kann sich die Regenbogenflagge sparen. Das gleiche gilt für Parteien, die Abschiebungen befürworten, während queere Geflüchtete trotz besonderem Schutzbedarf massive Entrechtung erfahren. Wenn der Vorsitzende der Berliner LSU („Interessenvertretung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen, sowie queeren Menschen“ in CDU/CSU) sagt, dass er als „schwuler Mann (…) nicht Händchen haltend über die Sonnenallee laufen“ würde, aber nichts über sein „persönliches Sicherheitsgefühl“ bspw. im Stadion vom BFC Dynamo sagt, schürt er bewusst Rassismus unter dem Deckmantel des Regenbogens. Queere Sicherheit gibt es nur intersektional, alles andere ist Heuchelei.
Nicht nur die Queerfeindlichkeit nimmt zu: Antimuslimischer Rassismus ist ebenfalls deutlich auf dem Vormarsch. „Muslimfeindlichkeit hat ein derart alarmierendes Ausmaß erreicht, dass wir reagieren müssen“, erklärte die damalige Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman im vergangenen Oktober mit Blick auf einen aktuellen Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA). Demnach ist jede zweite Person muslimischen Glaubens in der EU in ihrem Alltag mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert. Diese Zahl ist seit 2016 stark gestiegen. Nach dem 7. Oktober 2023 sind antimuslimische Vorfälle auf einem Höchststand. Der Jahresbericht der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim) für 2024 belegt einen Anstieg der registrierten Vorfälle von 1.926 (2023) auf 3080. Zur Illustration trage ich hier drei Fälle der abgelaufenen Woche zusammen:
Einer muslimischen Studierendengruppe wurde die Nutzung von Räumen an der Charité verboten. „Aufgrund der aktuellen Hinweise wird der Gruppe ab sofort und bis auf Weiteres die Durchführung von Aktivitäten und Veranstaltungen in den Räumlichkeiten der Charité untersagt“, teilte die Pressestelle des Klinikums am Montag (30. Juni) mit. Mit „aktuellen Hinweisen“ sind Artikel von Springers BZ und anderen Medien gemeint, in denen dem „MedIslam Collective“ vorgeworfen wird, „Geschlechtergetrennte Veranstaltungen“ anzubieten. Während es für hauptsächlich von weißen Studierenden besuchten Hochschulgruppen vollkommen normal ist, „FLINTA only“ Angebote zu machen oder Runden für kritische Männlichkeit abzuhalten, ist es beim muslimisch geprägten Mediziner*innen Kollektiv ein „Verstoß gegen die Grundsätze der Charité“.
Am Dienstag (1. Juli), dem Tag gegen antimuslimischen Rassismus, sollte Yücel Meheroğlu eigentlich zur Ansprechpartnerin gegen antimuslimischen Rassismus beim Berliner Senat ernannt werden. SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe kündigte dies in einer Pressemitteilung an. Doch nur kurze Zeit später folgte der Rückzieher mit der Begründung im Senat gebe es noch „Abstimmungsbedarf über die Aufgaben und Funktionen“ der Beauftragten. Meheroğlu wird nun erstmal nur innerhalb der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales tätig sein und nicht für das Land Berlin. „Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus ist offensichtlich kein Konsensthema“, bringt es das nd auf den Punkt. Die Berliner Zeitung hingegen zieht andere Schlüsse und behauptet „Antimuslimischer Rassismus hat sich zu einem Kampfbegriff der Identitätspolitik entwickelt (…) Kritiker sehen darin den Versuch, den Kampf gegen Antisemitismus zu relativieren“.
Bundesbildungsministerin Karin Prien ist offen für eine Beschränkung von migrantisierten Kindern in Schulklassen. Die „Migranten-Obergrenze“ (BILD) könne für die CDU-Politikerin bei 30 oder 40 Prozent liegen. In dem Interview mit WeltTV vom Donnerstag (4. Juli) konkretisierte Prien ihre Aussage nicht weiter, sie blieb beim schwammigen „Migranten“. Musste sie auch gar nicht, das übernehmen ihre Schwestern und Brüder im Geiste auf Twitter. Thorsten Alsleben, stramm rechter Chef der Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), der selbst Merz zu reaktionär ist, lobte Prien: „Sehr guter Ansatz (…) wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass Migrantenkinder nicht generell ein Problem sind, sondern nur die aus bildungsfernen Familien, und die kommen meistens aus einem sehr ähnlichen, kulturellen Hintergrund (meist Flüchtlinge aus muslimischen Ländern).“
Weitere Meldungen diese Woche
Ein rechtsextremer Polizist aus Bayern hat vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gewonnen und darf im Amt bleiben. Der 45-jährige Michael R. schrieb unter anderem, dass er Konzentrationslager für Migrant*innen „vernünftig“ fände und beendete Chatnachrichten mit „HH“ oder „SH“, kurz für „Heil Hitler“ oder „Sieg Heil“. Für das Gericht nur ein „Spielen mit dem Verbotenen“. Die Aussage „Nur K***ken im Zug“ [Zensur von mir] bewerteten die Richter*innen „als deutlich überspitzte Kritik an der Flüchtlingspolitik der damaligen Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel“. Der Polizist, der als Personenschützer unter anderem für Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und den ehemaligen israelischen Generalkonsul in München, Dan Shaham, zuständig war, schrieb, dass er ihnen die Deportation ins KZ wünsche, jedoch nicht nach Auschwitz oder Flossenbürg, sondern nach Dachau, da käme man „früher heim“. Für das Gericht bedeuten diese und weitere Äußerungen des Beamten keine Abkehr von der Demokratie. Die Entlassung durch das Münchener Polizeipräsidium, sowie die Herabstufung um zwei Dienstgrade wurde aufgehoben. Das Urteil war bereits am 19. Februar ergangen, jedoch erst am Montag (30. Juni) durch Veröffentlichung auf Beck Aktuell bekannt geworden.
Weil sie sich für das Recht auf Abtreibung, paritätische Besetzung von Parlamenten und die Corona-Impfung stark gemacht hat, gilt die Verfassungsrechtlerin und Hochschullehrerin Frauke Brosius‑Gersdorf für CDU und CSU als „ultralinks“ und soll nicht als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht aufgestellt werden. Wie am Donnerstag (3. Juli) bekannt wurde, hat die SPD die 54-Jährige nominiert, doch Abgeordnete der Union haben bereits angekündigt, nicht für sie zu stimmen.
Bundesinnenminister Dobrindt kündigte am Donnerstag (3. Juli) an, künftig mit den fundamental islamistischen Taliban über Abschiebungen verhandeln zu wollen: „Mir schwebt vor, dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen“, sagte er zum Focus. Abschiebungen über alles, das scheint das Motto der Bundesregierung zu sein. „Gender-Apartheid, Auspeitschungen und Todesstrafe – all das wischt Bundesinnenminister Dobrindt beiseite, wenn er den direkten Kontakt zu den Taliban sucht, um Abschiebungen zu ermöglichen“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.
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