Die CDU/CSU hat ihren Feldzug gegen die Zivilgesellschaft längst begonnen, die Medien werfen mit Hufeisen um sich und die Zahl der Gewalttaten gegen obdachlose Menschen ist erneut gestiegen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW9
Das Land hat gewählt und die Ergebnisse bestätigen überwiegend das, was sich zuvor bereits deutlich abzeichnete: knapp die Hälfte der Wahlberechtigten in Deutschland hat kein Problem mit Faschismus. CDU/CSU und AfD haben zusammengenommen 49 Prozent der Zweitstimmen geholt. 10.327.148 Menschen haben die AfD gewählt. Über zehn Millionen! Im Bundestag haben die Rechtsextremen künftig 152 Sitze, fast doppelt so viele wie zuvor. Das bedeutet nicht nur mehr direkten politischen Einfluss, sondern auch mehr Geld, mehr Mitarbeiter*innen, mehr Räume, mehr Aufmerksamkeit. Ich will niemanden zusätzlich beunruhigen, aber die NSDAP erreichte bei den Reichstagswahlen im September 1930 weniger Zustimmung als die AfD am Sonntag. Zweieinhalb Jahre später gewann sie die Wahlen mit 43,9 Prozent. Wie viele „Nie wieder ist jetzt“ noch, bis die AfD die Union überholt?
Natürlich gab es auch ein bisschen Grund zur Freude: Die FDP flog in hohem Bogen aus dem Parlament, den Wagenknechten fehlten lediglich 13.400 Stimmen zum Erreichen der 5%-Hürde und Die Linke schaffte nicht nur den Wiedereinzug in Fraktionsstärke mit 8,8 Prozent, sondern holte auch sechs Direktmandate. In Berlin wurde Die Linke sogar stärkste Kraft und machte mir damit ein bisschen Hoffnung für die Abgeordnetenhaus-Wahlen nächstes Jahr.
Gerade unter jungen Wähler*innen ist Die Linke beliebt, laut Infratest dimap holte die Partei 27 Prozent bei den Erstwähler*innen. Zweistärkste Partei wurde die AfD mit 19 Prozent. In den Redaktionen überschlugen sich die Hufeisen: „Jung wählt radikal“ titelt die Frankfurter Rundschau, die WELT auch Antworten auf die Frage „Warum junge Wähler Extreme lieben“ und die FAZ fragt „Warum wählt die Jugend plötzlich radikal links?“ und sieht darin „keine gute Nachricht für die Demokratie“. Es ist die altbekannte Taktik des Gleichsetzens von Rechts und Links. Sie basiert auf der ahistorischen und vollkommen naiven Vorstellung einer angeblichen „demokratischen Mitte“, die in vermeintlicher Neutralität zwischen den Extremen liegt. Es ist das Märchen bürgerlicher Gemäßigtheit (das Wort gibt es nicht, aber mir fällt kein passendes ein), die den Status Quo gegen die „Radikalen“ verteidigt, sachlich und vernünftig ist und die „Freiheitlich-Demokratische Grundordnung“ schützt. In dieser Logik ist die Menschenverachtung von rechts gleichermaßen demokratiegefährdend wie die linke Utopie des guten Lebens für alle. Angriffe auf Asylunterkünfte werden mit Protesten gegen Rüstungskonzerne gleichgesetzt und die Forderung nach einem Mietendeckel auf eine stufe gestellt mit dem Konzept der „Remigration“, also der Deportation nicht-weißer Menschen. Der Hass auf Linke basiert auf dem uralten Antikommunismus, der mit der Gründung der Bundesrepublik zur Staatsraison erhoben wurde, von der Polizei mit Gewalt durchgesetzt und von der Justiz untermauert wird. Immer wieder zeigt sich, wie in Deutschland die Bedrohung durch Rechtsextremismus kategorisch heruntergespielt wird, während linke Parteien, Projekte und Einzelpersonen kontrolliert, gegängelt, in ihrer Freiheit beschränkt und angegriffen werden.
Die Vorsitzende des Links-ist-schlimmer-als-Rechts-Vereins ist bekanntlich die CDU/CSU, die kurz vor der Bundestagswahl eine Kleine Anfrage mit dem Titel „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ stellte. Das am Montag (24. Februar) veröffentlichte Dokument ist unterzeichnet von „Friedrich Merz, Alexander Dobrindt und Fraktion“ und enthält 551 Fragen zu Organisationen wie Omas gegen Rechts, Amadeu Antonio Stiftung, BUND, Attac, Netzwerk Recherche, Neue Deutsche Medienmacher*innen, Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace. Ein lupenreiner Einschüchterungsversuch an alle, die sich jüngst an den Demos gegen Rechts beteiligten. Oder wie es Noa Neumann vom Attac-Koordinierungskreis formuliert: „Der zu befürchtende Großangriff auf die emanzipatorische Zivilgesellschaft unter einer Regierung Merz hat begonnen. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen rechts sind der Union offensichtlich ein Dorn im Auge.“
Ich hatte leider den Eindruck, dass dieses Manöver, das als klare Kampfansage an alle Antifaschist*innen verstanden werden muss, nicht die gleiche Empörung hervorrief, wie ein Foto, das Marcus Söder am Dienstag (25. Februar) aus dem Konrad Adenauer Haus postete. Darauf zu sehen: sechs Herren der Union, neben Söder sind auch Friedrich Merz und Carsten Linnemann darunter, die jovial grinsend um einen Konferenztisch herumsitzen. Dazu die Bildunterschrift „Wir sind bereit für einen Politikwechsel in Deutschland.“ Die SZ fasste es mit folgenden Worten zusammen: „Nicht einmal der Schatten einer Frau ist zu sehen.“ Wer von diesem Bild der Union überrascht ist, hat sich wahrscheinlich noch nicht so viel mit dem tiefsitzenden Antifeminismus in der CDU/CSU auseinandergesetzt. Der (Weiß)wurst-und-Bier-Boys-Club hat mit Merz endlich wieder einen Anführer, der die strammstehenden Burschen von 1955 träumen lässt. Vorbei das Merkel-Diktat, es lebe der Patriarch! So sehr mich diese Männerbünde abstoßen, so sehr ermüdet mich aber auch die Debatte. Ja, da sitzen sechs weiße Männer zusammen und entscheiden über die politische Zukunft dieses Landes. Ich frage mich aber: Was würde es ändern, wenn drei weiße Frauen dabeisitzen würden, sagen wir Dorothee Bär, Julia Klöckner und Ursula von der Leyen. Was würde das besser machen? Würden sie sich für die Abschaffung des Paragrafen 218 einsetzen? Für das Recht auf Selbstbestimmung für trans Personen? Würden Sie sich für die alleinerziehende Mutter stark machen, die Bürgergeld empfängt, um ihren schlechtbezahlten Teilzeitjob aufzustocken? Ich denke, ihr kennt die Antwort. Und wenn Menschen schon anfangen, das Fehlen bestimmter Gruppen zu bemerken, sollte auch die Abwesenheit von Menschen mit sogenannter (familiärer) Migrationsgeschichte auffallen. Aber auch hier: Was würde es verbessern, wenn Joe Chialo, Zana Ramadani oder Ahmad Mansour mit am Tisch säßen?
In Berlin wurden letztes Jahr 506 Gewalttaten gegenüber obdachlosen Menschen polizeilich erfasst, 65 Fälle mehr als im Vorjahr. Drei Menschen wurden gewaltsam getötet, 248 wurden Opfer von Körperverletzungen, 12 obdachlose Frauen und ein obdachloser Mann zeigten eine Vergewaltigung an. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Die Sprecherin der Berliner Stadtmission, Barbara Breuer, bestätigte in einem am Donnerstag (27. Februar) veröffentlichten Artikel, dass es unter wohnungslosen Menschen ein „großes Misstrauen“ gegenüber der Polizei gäbe. Zurecht, denn immer wieder kommt es zu gewaltsamen Räumungen, Schikanen und Verdrängung durch die Staatsgewalt. In einer Stadt, in der eine Millionen Quadratmeter Büroflächen leer stehen, sind Zehntausende ohne feste Bleibe. Nicht alle schlafen auf der Straße, manche kommen irgendwo unter, wohnungslos sind sie trotzdem. Und häufig psychisch krank: über 70 Prozent der Obdachlosen, so Breuer.
Das Landgericht Verden hat heute (Freitag, 28. Februar) einen 33-jährigen ehemaligen Soldaten zu lebenslanger Haft verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Mann hatte in der Nacht zum 1. März 2024 vier Menschen getötet: den neuen Partner seiner Ex-Frau, dessen Mutter, die beste Freundin seiner Ex-Frau und deren dreijährige Tochter. „Wie ein Berufskiller“ habe er sich verhalten, man könne die Taten als Hinrichtungen bezeichnen, sagte die Staatsanwältin. Er habe seine Opfer in „primäre und sekundäre Ziele“ unterteilt. Die Tat geschah offenbar aus Rache, aufgrund verletzter Besitzansprüche des Mannes, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte. „Die Menschen, die ich verantwortlich mache, sind nicht mehr da. Seitdem kann ich besser schlafen und essen“, sagte der 33-Jährige während des Prozesses zu einem psychiatrischen Gutachter. Dass in der Berichterstattung nicht von „Ehrenmord“ die Rede ist, hat wahrscheinlich ausschließlich damit zu tun, dass der Täter ein weißer Deutscher ist.
Weitere Meldungen diese Woche
Nachdem sich Donald Trump in der Vergangenheit über den kritischen Journalismus der Washington Post beschwert hatte, kündigte Jeff Bezos, einer der reichsten Menschen der Welt und Besitzer der Post seit 2013, an, dass sich die Meinungsbeiträge in der Zeitung künftig nur noch auf die Stärkung „persönlicher Freiheiten und freier Märkte“ konzentrieren werden. Andere politische Positionen werden nicht mehr veröffentlicht.
In Berlin wurde ein 50-Jähriger zur Höchststrafe verurteilt, nachdem er im vergangenen Jahr seine 36 Jahre alte Ex-Partnerin brutal getötet hatte. Norhan A. hatte alles versucht, um sich und ihre Kinder zu beschützen, immer wieder brachte sie die Drohungen und die Gewalt zur Anzeige – doch Polizei und Staat versagten ihr den notwendigen Schutz.
Abdullah Öcalan, der intellektuelle und strategische Führer sozialistischer Kurd*innen, der seit 26 Jahren in einem türkischen Gefängnis isoliert ist, rief in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung zur Auflösung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Beendigung des bewaffneten Kampfes auf. Die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V. (KON-MED) hat dem „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ ihre volle Unterstützung zugesichert. Der kurdische Politiker und ehemaliger Ko-Vorsitzender der kurdischen Partei PYD in Syrien, Salih Muslim, betonte, dass für das Vorankommen eines Friedensprozesses die physische Freiheit Öcalans unerlässlich sei.
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