Liberalfeminismus / Liberaler Feminismus
Liberale Feminist*innen kritisieren die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen und die unfair verteilten Zugangschancen auf Basis des Geschlechts. Dabei geht es im Liberalfeminismus vor allem um die Bereiche Arbeitsmarkt, Politik und Wirtschaft. Kernthemen sind zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die paritätische Besetzung von Führungsetagen, Aufsichtsräten oder Parlamenten sowie das Thema „pink tax“ also die unfaire Besteuerung von Produkten „für Frauen“.
Geschlecht und Identität sind Privatsache, gesetzliche Gleichstellung ist das Ziel
Außerdem setzen sich liberale Feminist*innen häufig gegen sexuelle Belästigungen und Catcalling ein sowie teilweise gegen Partnerschaftsgewalt. Antidiskriminierung spielt zwar eine wichtige Rolle, allerdings eher im konkreten Fall und nicht etwa auf struktureller, systemischer Ebene.
Das Individuum steht im Zentrum, die Existenz von Klassen wird ignoriert, meistens sogar geleugnet.
Geschlecht, (geschlechtliche) Identität und Sexualität gelten im liberalen Feminismus in der Regel als Privatsache. Gesetzliche Gleichstellung wie die „Ehe für Alle“ werden begrüßt. Liberale Feminist*innen gehen überwiegend davon aus, dass Jede*r für die eigene Zukunft selbst verantwortlich ist. Das bedeutet, dass FLINTA vor allem „empowert“ werden sollen, sich das zu nehmen, was ihnen zusteht: „Girls to the Front!“ und so weiter…
Die Systemfrage wird nicht gestellt
Die strukturelle Dimension im Kapitalismus existiert für liberale Feminist*innen nicht oder wird nur in Ausnahmen akzeptiert. Das Patriarchat wird selten thematisiert, eine tiefergehende Auseinandersetzung wird nicht angestrebt. Da die „Systemfrage“ im Liberalfeminismus nicht gestellt wird, gilt es als unnötig, sich damit zu beschäftigen. FLINTA sollen nicht ihre Zeit in Lesekreisen verschwenden, sondern lieber ein Onlineseminar besuchen, in dem die beste Strategie für Gehaltsverhandlungen gelehrt wird.
Liberale Feminist*innen zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie das „Mindset“ einer Person zur entscheidenden Komponente erheben. FLINTA sollen sich nicht verunsichern lassen, sollen selbstbewusst und stark auftreten, sich mit Eigenschaften wie Durchsetzungsstärke, Verhandlungsgeschick und Selbstsicherheit um ihr eigenes Fort-kommen kümmern und in sich selbst investieren. Überhaupt wird häufig mit dem Vokabular der Ökonomie argumentiert. Etwas muss sich „rechnen“, das Ziel ist stets „Wachstum“ und „Outcome“.
Wer es trotz „Chancengleichheit“ nicht schafft, ist selbst schuld
Liberalfeminismus zeigt sich bspw. in der Forderung nach „mehr Frauen in Führungspositionen“. Es geht darum, mehr Frauen (hier sind in der Regel hauptsächlich cis Frauen gemeint“) in Machtpositionen zu bringen. Die Machtpositionen selbst werden nicht hinterfragt. Liberale Feminist*innen fordern häufig „ein Stück von Kuchen“, das dann aber meistens nur zwischen wenigen, in aller Regel weißen, gut ausgebildeten cis Frauen aufgeteilt wird.
Der liberale Feminismus will das System grundsätzlich nicht ändern. Das Ziel ist es, mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Liberale Feminist*innen glauben, dass es „Chancengleichheit“ geben kann und das Individuum nur mehr ermutigt werden muss. Diese Annahme beinhaltet
jedoch auch immer die Haltung, dass diejenigen, die es trotz vermeintlicher Chancengleichheit nicht schaffen, selbst schuld sind, sich nicht ausreichend angestrengt haben, etc.
Status Quo gerechter machen, statt Sturz des Systems
Intersektionalität ist im Liberalfeminismus kein Thema, da sich erstens wenig mit Theorie auseinandergesetzt wird und zweitens der Glaube vorherrscht, die „besten“ würden sich schon durchsetzen, ungeachtet der (ethnischen) Herkunft, der sexuellen Orientierung oder der Religion. Klassismus, Rassismus, Ableismus und andere Dimensionen von Diskriminierung gilt es gesetzlich zu verbieten, den Rest „regelt der Markt“. Liberaler Feminismus will den Status Quo „gerechter“ machen, nicht die Verhältnisse stürzen.
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Weiterführende Links und Literatur-Tipps
Geschichte des Feminismus (Heinrich Böll Stiftung)
Was ist Feminismus? (Gunda Werner Institut)
We are Feminists. Eine kurze Geschichte der Frauenrechte. (Leider sehr binär. Ist ganz hübsch gemacht und stellt eine Auswahl historischer Meilensteine vor sowie wichtige Feministinnen.